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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling
Autoren: Robert Stallman
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Hunde folgten ihm schwanzwedelnd, während sie die alte Pferdedecke beschnüffelten, in die der Junge eingehüllt war. Robert fröstelte vor Kälte und Angst, obwohl die Nacht beinahe warm war. Er fühlte sich neu und hilflos. Die grobe Decke, die um seine mageren Schultern lag, roch nach irgendeiner scharfen Salbe. Die Frau des Bauern stand in der offenen Tür an der hinteren Veranda, und der Lichtschein hinter ihr warf einen langen unbewegten Schatten auf den feuchten Rasen.
    »Was hast du gefunden, Martin? Ist es ein Kind? Ein Junge?«
    Der Bauer ließ den Kleinen herunter und schob ihn mit sachter Hand in die Küche, die warm und golden war vom Lampenlicht. Der lange schwarze Holzofen war noch heiß. Die hochgewachsene Frau nahm die Decke und drehte Robert immer wieder hin und her und rundherum, während sie ihn musterte. Er blickte auf seinen eigenen weißen Körper hinunter, einen haarlosen Körper mit komischen Füßen, die wie Krötenfüße aussahen, staksigen dünnen Beinen, schüchternem kleinen Penis, kleinem runden Bäuchlein. Er war ungefähr fünf oder sechs Jahre alt und so mager wie eine Beutelratte im Frühling.
    »Was ist denn aus deinen Kleidern geworden, Kind?«
    Sie schien ihm von gewaltiger Größe, wie sie da knochig und kantig vor ihm stand. Wenn sie Robert Fragen stellte, brachte sie ihr Gesicht dem seinen ganz nah und öffnete weit ihre Augen, so daß es aussah, als wäre sie erstaunt. Ihr Gesicht war lang und sommersprossig und gar nicht hübsch. Ihre Nase hatte in der Mitte einen Höcker, und ihr Mund war zu groß, aber ihr Lächeln gab Robert das Gefühl, gut aufgehoben zu sein.
    Der Bauer war nicht so groß wie seine Frau, ein rotgesichtiger Mann mit vielen Fältchen um die Augen, so als blinzelte er ständig, und vollem grauen Haar, das am Hinterkopf in kleinen Büscheln abstand. Er wirkte so kräftig und stämmig, daß er Robert an einen knorrigen Walnußbaum erinnerte.
    Die Frau stellte unentwegt Fragen. Wo der Junge herkäme. Wer er wäre. Was er oben im Heuschober getrieben hätte. Und zur gleichen Zeit erzählte der Bauer, wie er geglaubt hätte, es wäre wieder ein Landstreicher oben im Heu, so wie der, den sie im letzten Winter erwischt hatten.
    Robert begann wieder zu weinen. Er konnte über die Fragen nicht nachdenken. Er war müde, und in seinem Magen hatte er ein komisches Gefühl. Er begann zu frösteln und schmiegte sich wärmesuchend an das Bein der Frau. Daraufhin wurde sie sehr mütterlich, holte Decken, kochte auf dem Ofen, der vom Abendessen noch heiß war, einen Haferflockenbrei, und dazu gab es sahnige Milch und braunen Zucker.
    Robert aß, bis er kaum noch atmen konnte. Dann trug ihn der Bauer nach oben in ein Bett, das mit Wärmflaschen vorgewärmt war. Er fühlte sich sicher und geborgen und rollte sich zusammen, und sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, ob wohl die Taube da drinnen bei all den Haferflocken war.
    Ich erwache in der neuen Gestalt und springe beinahe kopfüber aus dem Schlafzimmer vor Schreck über die fremden Empfindungen und Gefühle. Es ist das graue Dunkel vor der Morgendämmerung. Mein Raumsinn arbeitet nicht in Roberts Körper und allein auf dessen unvollkommen entwickeltes Wahrnehmungsvermögen seiner Augen und Ohren angewiesen, fühle ich mich eingeengt, wie gefangen. Der Bauer und seine Frau sind nicht im Zimmer. Sie sind anderswo im Haus, und einer von beiden gibt gurgelnde Schlafgeräusche von sich. Ich krieche unter den Bettdecken hervor. Mein Körper ist in ein Kleidungsstück aus weichem Stoff eingehüllt, ein Nachthemd. Ich streife es ab, und die kühle Luft trifft mich so beißend, daß ich spüre, wie mein Fell sich aufstellt. Kein Fell. Ich fröstele. Ich schaudere vor Unbehagen, und plötzlich, wohltuend, nehme ich wieder meine eigene Gestalt an.
    Das Zimmer, das mich umgibt, wird lebendig. Die Geräusche des schlafenden Bauern und seiner Frau sind laut und deutlich, ein Zusammenspiel abgerissener Töne und Laute zwei Zimmer entfernt. Mein Zimmer ist klein mit dem Bett darin, einem Gestell mit einer Schüssel und einem Krug Wasser, einem offenen Schrank, in dem zwei hölzerne Bügel hängen. Das Bett riecht nach kleinem Jungen und Moder und häuslichem Staub. An den beiden Fenstern hängen Gardinen aus einem feinen, wolkigen Stoff, die aufgezogen und an den Seiten festgemacht sind, so daß ich sehen kann, wie die letzten Sterne am heller werdenden Himmel verschwinden. Ich habe große Lust, hinauszuschlüpfen und ein
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