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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling
Autoren: Robert Stallman
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auf ihn hinunter, während sie sich geistesabwesend das Mehl von den Armen wischte. Dann fing sie an zu lachen und nahm ihn hoch, ohne darauf zu achten, daß sein ganzes Nachthemd voll Mehl wurde. Sie trug ihn ins Wohnzimmer.
    »Schau, Robert. Schau dir das an. Es ist keine Menschenseele hier. Siehst du es?«
    Robert sah sich um. Das Wohnzimmer war leer bis auf das alte Klavier, das gepolsterte Sofa und die Sessel und die gewohnten Nippessachen. Die Stimmen kamen aus einem Kasten, der oben gewölbt war wie ein Torbogen und auf den ersten Blick aussah wie eine Stuhllehne.
    »Das ist das Radio, Robert«, erklärte Tante Cat und ließ ihn auf ihrem Arm auf und nieder hopsen, als würde solche Bewegung dazu beitragen, dieses neue Wissen in seinem Kopf zu verankern. »Hast du denn noch nie zuvor ein Radio gehört? Du lieber Gott, Kind, wo bist du nur gewesen? Ich dachte, heutzutage hören alle kleinen Jungen Jack Armstrong und Dick Tracy.«
    Robert war in der Tat ein paar Tage lang so hingerissen von dem Radio, daß man ihn zu den Mahlzeiten mit Gewalt wegreißen mußte. Ich war gleichermaßen gefangen von der Musik und häufig unzufrieden mit Roberts Programmwahl, der eine Schwäche für Buck Rogers und ähnliches hatte, während ich auf der Skala lieber nach Benay Venuto oder den Merry Macs gesucht hätte. Wenn sie nach dem Abendessen im Wohnzimmer saßen, pflegte Martin sich Boak Carter und die Nachrichten anzuhören, und Tante Cat schaltete »One Man’s Familiy« oder »Easy Aces« ein.
    Der Konflikt zwischen Roberts Verlangen nach Abenteuergeschichten und meiner eigenen tiefen Neugier für die Musik endete schließlich in einem Stillhalteabkommen. Es war eines der wenigen Male, wo ich mich in sein Leben einmischte. Von nun an wechselten wir ab, jeder durfte einmal das hören, was er wollte.
    Den Nordmeyers mußte es scheinen, als hätte der kleine Junge neben seiner offenkundigen Leidenschaft für geheimnisvolle und abenteuerliche Geschichten ein merkwürdiges Bedürfnis, sich beinahe jede Art von Musik anzuhören. Das Ohr an den gotisch geschwungenen Lautsprecher des Philco gepreßt, pflegte er dazuhocken und sich begierig die Hörspiele anzuhören; mit düsterer Miene, beinahe zornig, pflegte er später in einigem Abstand vom Radio in einem Sessel zu sitzen und Guy Lombardo zu lauschen. Erbot sich jedoch jemand, auf einen anderen Sender umzuschalten, so pflegte er heftigst zu protestieren.
    Die Musik, die Robert am liebsten hörte, war Martins Mundharmonikaspiel. Wenn der Bauer die alte Hohner aus seiner Hemdtasche zog und »Peanut sat on a Railroad Track« oder »Pop goes the Weasel« spielte, dann strahlte Robert übers ganze Gesicht. Er lernte sogar selbst ein paar Noten spielen, und Martin stellte eine einfache kleine Melodie zusammen, die Robert leicht spielen konnte. Er brauchte nur die Tonleiter abwärts den Atem abwechselnd auszustoßen und einzuziehen. Sie dichteten auch neue Verse für einen gängigen Schlager, und der erste, den sie machten, ging so:

    »In einem kleinen Häuselein
    sitzt ein winzig Mäuselein,
    spielt auf seiner Flöte klein,
    daß ihm der Schnurrbart zittert.«

    Mit der Zeit kamen über ein Dutzend Verse zusammen, von denen manche völlig unsinnig waren, aber Robert spielte seine kleine Melodie mit Inbrunst, bis Tante Cat sich die Ohren zuhielt und aus dem Zimmer floh. Es schien dies etwas zu sein, was nur Martin und Robert über längere Zeit aushalten konnten.
    Eines Abends nach dem Essen saßen Martin und Tante Cat im Eßzimmer und hörten Radio, und beide hatten sie eine hohe braune Flasche vor sich stehen, aus der sie Bier tranken. Sie taten das so selten, daß sowohl Roberts als auch mein Interesse sich regte. Robert erklärte, er wolle auch einen Schluck Bier haben. Tante Cat sagte, das wäre nichts für Kinder, doch Martin meinte, ein kleiner Schluck Bier könnte niemandem schaden.
    »Aber nur ein ganz kleines bißchen«, meinte Tante Cat. »Man weiß nie, was für Wirkungen …« Der angefangene Satz verlor sich in einem vielsagenden Blick, den ihr Mann mit einem Hochziehen der Augenbrauen und einem Nicken beantwortete, während er Robert ein halbes Glas einschenkte.
    Winzige Perlen stiegen in der hellen goldenen Flüssigkeit auf, als Robert einen großen Schluck trank und hinunterwürgte, obwohl sich seine Kehle zuschnürte. Seine Mannesehre zwang ihn, das Zeug hinunterzuschlucken. Als es in Roberts Magen gelangte, spürte ich es so intensiv, als hätte ich selbst ein
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