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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling
Autoren: Robert Stallman
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blendende Lichter. Ich schreie auf, doch von draußen laufen Menschen herbei. Ich bin durcheinander und schwach. Darf es nicht versuchen. Ich raffe den letzten Rest meiner Konzentration zusammen und verwandle mich.
    Schreie mischen sich. Einige kommen von dem jungen Mann, Charles, der sich von der Perfidie dieser Macht verraten sieht, von der er jetzt weiß, daß er ihr dienen oder untergehen muß. Andere Schreie kommen aus dem Haufen der gewöhnlich schweigsamen Peaussiers, die in ihren Stall gestürzt sind, um ihre wertvollste Kuh vor dem, wie sie meinen, Überfall des Bullen zu retten, der in den Stall eingebrochen sein muß, um zu ihr zu gelangen. Und der schrillste Schrei kommt von Miss Wrigley, der vierundzwanzigjährigen Lehrerin an der örtlichen Schule, die schon früher durch ein Geräusch aufmerksam geworden ist und die Familie schließlich geweckt hat. Miss Wrigley wird Zeugin eines Anblicks, der ihr bis an ihr Lebensende unauslöschlich im Gedächtnis bleiben wird, wenn sie nicht in ein, zwei Augenblicken mit Entschlossenheit seine Realität leugnet, oder wenn sie nicht ohnmächtig wird, was aber nicht ihre Gewohnheit ist.
    Im plötzlichen grellen Schein der elektrischen Lampen im Stall, die erst im vergangenen Monat installiert worden sind, sieht sie ihren liebsten und brillantesten Schüler, Charles Cahill, der in einem offenbar qualvollen Zustand postkoitaler Reue, über dem Rücken der wertvollsten Milchkuh des Bauern Peaussier hängt, wobei Sherry, die Kuh, weniger mitgenommen zu sein scheint, als Miss Wrigleys Lieblingsschüler.
    Die nachfolgenden Details, wie Mr. Peaussier, ein Mann, den keine natürliche oder unnatürliche Handlung von Mensch oder Tier, sondern höchstens ein Weltuntergang erschüttern kann, den jungen Charles von dem Tier herunterzieht, werden von den entgeisterten Zuschauern mit Spannung verfolgt, so daß bei keinem der Anwesenden ein Zweifel über die vorausgegangenen Geschehnisse zurückbleibt. Der junge Mann steht da wie eine Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hat, schlaff und obszön, bis Mr. Peaussier vortritt und seine ersten und letzten Worte an den Jungen richtet.
    »Zieh dich an.«
    Und mit Augen, in denen plötzlich der Wahnwitz funkelt, stürzt sich Charles Cahill auf den alten Bauern, schleudert ihn zu Boden und hetzt hinaus in die Finsternis, wo er im wahrsten Sinne des Wortes verschwindet. Fünf Meter von dem hell erleuchteten Rechteck des offenen Stalltors entfernt, wo drei aufrecht stehende und ein am Boden niedergestreckter Mensch in die Nacht hinausspähen, taucht plötzlich etwas anderes auf und verschwindet wieder, etwas sehr Großes, Blitzschnelles, so daß die Beobachter nur annehmen können, sie wären das Opfer einer Lichtspiegelung, einer optischen Täuschung geworden, über die keiner von ihnen je zu einem anderen Menschen sprechen wird. Der Vorfall an sich hat schon völlig ausgereicht.

    Wenn dieser Hügel einen Namen hat, so habe ich ihn nie gehört. Hügel sind in dieser Landschaft eine solche Seltenheit, daß man ihnen nicht einmal einen Namen gibt, sie höchstens vielleicht als »Die Hügel« bezeichnet. Aber von der Anhöhe habe ich einen guten Blick über das kleine Flußtal. Jetzt, im ersten kühlen Schweigen des frühen Morgens, wenn selbst die Vögel die Düsternis der Nacht noch nicht abgeworfen haben, gebe ich mich dem Frohlocken über meine neu entdeckten Empfindungen hin und schüttele verwundert den Kopf über Charles und sein menschliches Närrischsein. Die ganze Nacht war er nur eine flammende Wut in meinem Inneren. Wie Sodbrennen, denke ich grinsend.
    Ich hocke am Rand des steileren Abhangs des Hügels, auf der Ostseite, und blicke hinunter auf das braune Band des Inroquois River eine halbe Meile entfernt. Würde ich mich zur anderen Seite drehen, so könnte ich den größten Teil jenes Gebiets sehen, wo ich die letzten neun Monate verbracht habe. Wieviel ich dort gelernt habe, denke ich, plötzlich gähnend, von Müdigkeit überfallen. Das Licht der Sonne, die eben erst aufgegangen ist, fällt noch nicht auf den Fluß, doch es spielt schon in den Räumen und den Fenstern der Höfe am Horizont. Der Fluß ist so braun wie eine Straße, eine unbefestigte Straße, die nach Nordosten führt.
    »Charles«, rufe ich wieder, wie schon so viele Male in der Nacht, als ich nur die schwelende Hitze seiner lodernden Wut zur Antwort bekam.
    »So benimmt sich ein Held nicht.«
    Schweigen.
    »Wir können hier fortgehen und zu dieser Frau
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