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Werwelt 01 - Der Findling

Werwelt 01 - Der Findling

Titel: Werwelt 01 - Der Findling
Autoren: Robert Stallman
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Peaussiers kleine Jersey-Kuh sei in Hitze, daß man sie aber nicht von dem Holstein-Bullen decken lassen wolle und daß der Bulle, dem Tag und Nacht die Ausdünstung der hitzigen Kuh in die Nase stieg, fürchterlich litte. Charles fühlte sich einen Moment lang von einer tiefen Teilnahme für den alten Bullen überkommen, der da draußen in der Finsternis stand und brüllte.
    Als er wieder nach vorn blickte, war Miss Wrigley im Haus verschwunden. Charles spürte eine juckende Rastlosigkeit in sich. Er hatte das Gefühl, als wäre sein Magen in vier getrennte, fest zusammengekrampfte Knoten geballt, und seine Leisten schmerzten, als wären sie in einem Zementmixer durchgeknetet worden. Einen Moment lang blieb er stehen, drehte sich um und hätte sich beinahe auf den Heimweg über die Felder gemacht. Doch er tat es nicht. Statt dessen machte er kehrt und ging weiter, übersprang den letzten Zaun in den Garten der Peaussiers. Lautlos kamen ihm die beiden Hunde entgegen, um zu sehen, wer da auf dem Hof war. Er kniete nieder und sprach mit ihnen. Da erkannten sie ihn und wedelten mit den Schwänzen. Er war viele Male auf dem Hof gewesen, wenn er Miss Wrigley nach Hause begleitet und bis vor die Tür gebracht hatte. Manchmal hatten sie noch in der Kälte gestanden und von fernen Städten, von Mathematik und Gedichten gesprochen, bis sie beide ihre Füße nicht mehr gespürt hatten.
    Sie hatte ihn selbstverständlich niemals hereingebeten, denn sie war eine unverheiratete junge Lehrerin, und er war ein heranwachsender junger Mann, und die Peaussiers waren zwar wortkarge, aber aufmerksame Leute. Sie wohnte bei ihnen, im Zimmer über der hinteren Veranda, genau wie vor ihr ihre Vorgängerin. Die Peaussiers waren eine stoische Familie, die wie Kleinbauern ihre Felder bearbeiteten, ihre Kinder so lange wie möglich im Haus behielten und die Tugenden der Bescheidenheit und der Sparsamkeit pflegten, wie schon ihre Vorfahren in der alten Heimat das getan hatten. Charles kannte Mr. Peaussier und seinen jüngsten Sohn, der die High-School hinter sich hatte und zu Hause lebte, zwar vom Sehen, doch er hatte nie ein Wort mit ihnen gewechselt. Ab und zu hatte er Miss Wrigley in ihrem alten Tourenwagen sitzen sehen, wenn sie samstags morgens in die Stadt gefahren waren. Miss Wrigley mit dem lebendigen Lächeln und der winkenden Hand mitten unter den unbewegten, schweigsamen Peaussiers – wie eine lebendige Frau unter einem Haufen Zaunpfählen.
    Die Hunde kannten ihn. Im Dunklen lief er durch den Garten und hoffte, er würde nicht in irgendeine frisch ausgehobene Grube stolpern oder in ein paar Bretter mit hochstehenden Nägeln treten. So finster war es. Er behielt die Silhouetten der Gebäude im Auge, die den Hof umgaben, und sah das plötzliche Aufflammen von weichem Licht, als in einem Fenster im ersten Stock eine Lampe angezündet wurde. Miss Wrigley war in ihrem Schlafzimmer.
    Charles schlich durch den Hof, als hätte er ein Ziel, glitt am Silo und am Milchhaus vorüber, als wüßte er genau, was er tat. Tatsächlich jedoch überlegte er überhaupt nicht. Er bewegte sich wie durch einen Film von sich selbst, an den er sich nicht erinnern konnte. Es war, als wäre alles vorher geplant worden, so daß kein Nachdenken erforderlich war. Jetzt konnte er das Fenster sehen, den halbgeöffneten Spitzenvorhang, die Sonnenjalousie, die beinahe bis zum Fensterbrett heruntergezogen war. Er beobachtete die helle Jalousie und sah einen Schatten über sie hinhuschen.
    Am Ende der Veranda war ein Spalier, aber es war aus dünnen Latten, die nicht einmal einen Affen gehalten hätten. Der Verandapfosten am anderen Ende, dachte er und schlüpfte aus seinen Schuhen, und dann die Regenrinne, wenn sie nicht herunterbrach, und danach war es nur noch ein Katzensprung aufs Dach. Er zog die Socken aus, schlich sich auf die Veranda, kletterte aufs Geländer, sehr vorsichtig, für den Fall, daß das Holz angefault sein sollte. Doch bei den Peaussiers war nichts angefault oder verwittert. Alles war stabil, frisch gestrichen, fest mit Nägeln verankert, genau wie das eiserne Band, das das Regenrohr hielt. Das Dach war rauh, aber nicht allzu schräg, und jetzt hatte er den schmalen Lichtstreifen unterhalb der Jalousie direkt vor sich. Auf dem Bauch robbte er zum Fensterbrett und spähte durch die Ritze.
    Zunächst sah er sie nicht, und sein Herz setzte erschreckt aus. Wenn er nun ein Geräusch gemacht hatte und der alte Peaussier mit seiner Flinte herauskam? Doch
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