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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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Tom Thamm, seine angeborene gute Laune, hoffnungslos unterminiert. Aus den tausenden Hoch- und Fachhochschulen Deutschlands strömten Jahr für Jahr zehntausende diplomierte Grafik-, Kommunikations- und sonstige Designer in die Agenturen. Von den unzähligen schlauen Lehrlingen, die den Direkteinstieg ohne Umweg über eine höhere Schule in die Agenturen nahmen ganz zu schweigen. Wer es also einmal auf den Posten eines Art-Directors oder sogar Creative Directors geschafft hatte, musste ihn gegen einen täglich anschwellenden Druck verteidigen. Auch wenn es nur sieben bis zehn Praktikanten waren, die jedes Jahr zu SCP kamen – einer von ihnen blieb immer hängen. Und der wurde dann besser und besser. Nicht zuletzt, weil er bei Tom den nötigen Schliff bekam. Das war genau das Dilemma: Tom wurde dafür bezahlt, das Letzte aus den Leuten herauszuholen. Und damit bereitete er automatisch seine eigene Ablösung vor. Er musste sich nur Arnold O. Langer ansehen, seinen Art-Director. Zehn Jahre jünger als Tom, hatte er ihn vor sechs Jahren zu SCP geholt.
    Heute fühlte sich Arnold ihm so ebenbürtig, dass sich Tom immer wieder neue Finten einfallen lassen musste, um ihn auf Distanz zu halten. Wie diese Idee mit dem Resozialisierungs-Praktikanten, wie hieß er noch gleich? Genau: Jakob, genannt Jack.

     

8. Jack
    Bei einem Mittagessen mit dem Agenturchef Schneidervater hatte Tom eine unerwartete Seite von sich präsentiert. Nicht den selbstverliebten Werbekreativen, sondern den verantwortungsbewussten Staatsbürger,
der sich auch für das Gemeinwohl engagiert. Er machte Schneidervater einen Vorschlag, den sich dieser ungläubig anhörte und dann mit wohlwollender Skepsis akzeptierte. »Da können wir bestimmt eine schöne, kleine Pressemeldung draus machen. Wenn Sie sich das antun wollen, bitte!«
    »Ich tu es nicht mir an«, sagte Tom zu sich.
    Nach zehn Gesprächen mit allen möglichen Kandidaten hatte er den perfekten Mann gefunden. Als Assistenten für Arnold. Denn der hatte sich nicht nur als guter Designer, sondern auch als Womanizer der Agentur hervorgetan, der regelmäßig die süßesten Frauen abkriegte, da konnte ein bisschen Gegenwind nicht schaden.
    Jack war 23 Jahre alt und hatte keine nennenswerte Ausbildung außer einem Semester in Stadelheim vorzuweisen. Aber Tom hatte gesehen, wie Miriam, die Frau am Empfang, und Sybille, seine Assistentin, auf ihn beim Bewerbungsgespräch reagierten, das genügte als Qualifikation vollauf.

     
    Für Jack erfüllte sich ein Traum. In der Agentur arbeiteten 54 Frauen, 51 von ihnen waren ansehnlich, 42 ledig, 34 Singles. Und alle fanden den Neuen aufregend. »Stimmt das, warst du wirklich in Stadelheim?« Und wenn er mit einem müden Lächeln nickte, fragten sie nach: »Im Gefängnis?« Als ob es in Stadelheim auch noch eine Elite-Universität gegeben hätte. In diesem Moment hob er sein Gesicht, öffnete seine graublauen Augen und knurrte: »Sechs Monate keine Frau.«
    Als er den Knackis in Stadelheim das erste Mal davon berichtete, hielten sie ihn für einen Schwätzer. Doch als er sechs Monate später mit dem Abschiedsgeschenk, das ihm die Agentur gemacht hatte, bei ihnen vorbeischaute, änderte sich das schlagartig. Es war eine Art Setzkasten mit 54 kleinen Fächern. In jedem Fach klebte ein Namensschild. Und ein Schamhaar. Nur bei Simone und Franziska nicht.
    »Was ist mit denen, die hast du nicht flachgelegt?«
    »Doch, aber die können nix spenden. Die sind rasiert.«
    Ab diesem Tag musste in Stadelheim der Fortbildungskurs Grafik/Design wegen Überfüllung geschlossen werden.
    Und Arnold brauchte fast ein weiteres halbes Jahr, um seinen alten Status als Alpha-Single der Agentur wieder halbwegs zurückzuerobern.
    Das waren die Dinge, die Toms Alltag süß und damit erträglich machten. Tom war zwar Kreativchef, aber verheiratet, zwei Kinder, und somit vom offenen Sexualtauschmarkt ausgeschlossen. Da waren nur ein paar Quickies mit Miriam und natürlich die üblichen Exzesse auf den Agenturausflügen und -Feiern, aber ansonsten war sein Leben so spießig wie das des Chefbuchhalters, der natürlich nicht Chefbuchhalter hieß, sondern Chief Financial Officer (CFO).

     
    Tom spürte den Druck jeden Tag. Und wenn der Druck steigt, nimmt die gute Laune ab. So war aus dem sprühend witzigen, vor Lachen übergehenden Tom ein Berufsgrinser geworden, der eine professionelle Show abzog, wenn es lustig sein musste.
    ›Keine Macht den Drögen‹, hatte er auf seinem T-Shirt
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