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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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ihm die Idee des Clubs erklärt. Eine zwölf Meter lange Glaswand war direkt in die Seekante gebaut. Man konnte selbst bei ein Grad Wassertemperatur das Gefühl genießen, Teil des Sees zu sein. Wer es einmal gesehen hatte, würde es nie wieder vergessen. Das erste Glitzern schlug direkt auf dem Westufer vor der Agentur ein und flutete die oberste Etage des Clubs mit Licht. Man konnte von unten beobachten, wie die erste Sonne die Wasseroberfläche durchdrang. Ohne die Luft anzuhalten. In trockenen Kleidern. Aber im Sommer blieb natürlich kaum jemand trocken. Die durchgetanzten Schönheiten genossen es morgens, in die Fluten zu springen und ihre kochenden, nun abgeschreckten Leiber den Hinterglasgebliebenen zu präsentieren. Und an das Publikum hinter Glas wurde weißes Pulver verteilt, um wieder wach zu werden. So ging die Arbeitswoche nahtlos ins Wochenende über. Und der Eindruck blieb haften: Das ist ja wie Urlaub, wie die da arbeiten! In Starnberg! Am See!
    Für die Einladung, die einmal im Monat an ausgewählte Kreativ-VIPs per Mail verschickt wurde, mussten sich die Leute von SCP keine besondere Mühe geben. Sie bestand lediglich darin, den genauen Zeitpunkt des Sonnenaufgangs anzukündigen: sunrise 6:13 a. m.
    Von Werbung verstehen sie ja nichts. Aber feiern können sie, dachte man. Und freute sich, zu den Auserwählten zu gehören.

     
    Nie wieder wurde etwas auch nur ansatzweise Ähnliches am See genehmigt. Ein russischer Oligarch, dem man mit den Fotos des Underbeachclubs eine Zwanzigzimmervilla in Possenhofen angedreht hatte, verkaufte nach vier Jahren Behördenstreit entnervt das Haus wieder. Natürlich nicht, ohne die örtlichen Juristen und Baufirmen mit einem Investitionsvolumen von kolportierten 8,5 Millionen Euro beglückt zu haben.
    Bei Doktor Gnadenhain, auf dessen Wunsch ja der ganze Wirbel zurückzuführen war, bestärkte sich der Eindruck, eine wirklich äußerst fähige Agentur als Partner gewonnen zu haben. Es wurde eine Partnerschaft, die sogar über den Tod des alten Schneidervaters hinaus Bestand haben sollte. Eines viel zu frühen Todes übrigens.

10. Jung gegen Alt, Alt gegen alle
    Der neue Praktikant war nicht von Tom, sondern vom alten Schneidervater persönlich eingestellt worden. Ziemliches Schlamassel. Tom hatte am Computer seine Mappe begutachtet. Exzellentes Zeug. Nicht auszudenken, wie gut der Mann in zwei Jahren sein würde.
    Timo. Klingt ja fast wie eine Steigerung von Tom, dachte er nicht. Ahnte er nur.
    Eines Tages würde ihn der alte Schneidervater abservieren. Da Tom bis dahin noch nicht genug verdient haben würde, um von den Zinsen leben zu können, musste er dem zuvorkommen, und sich mit einem Kunden irgendwie selbstständig machen. Genau das verbot ihm aber sein Arbeitsvertrag, verzwickte Lage.
      Gelegenheiten hatte es genug gegeben. Die große Brauerei zum Beispiel, deren Marketingleiterin ihm damals aus der Hand gefressen hatte. Tom konnte ihr präsentieren, was er wollte, sie fand alles toll. Weil sie Tom toll fand. Einmal machte er sich den Spaß, ohne Präsentation loszufahren. Er hatte nur Laptop und Beamer dabei. Ein Assistent stöpselte alles zusammen, schaltete den Beamer ein und als er fragte: »Welche Präsentation soll ich anklicken?«, sagte Tom nur: »Mach’ eine leere weiße Seite.« Und dann fing er seinen Vortrag an.

     
    »Wir glauben, dass für wirklich innovative Werbung die klassische Rollenverteilung unserer Branche aufgehoben werden muss: Agentur steht auf der Bühne und der Kunde sitzt im Publikum – das gilt nicht mehr. Jeder ist kreativ! Jeder hat Träume, jeder hat neue ungesehene Bilder im Kopf, jeder hat Fantasie.« Neugierig blickten ihn Vertriebsvorstand, Marketingleiterin, Werbeleiterin und drei Assistenten mit unbestimmbaren Funktionen an.
    »Seien wir doch ehrlich«, fuhr er fort, »wir wollen vollkommen unterschiedliche Dinge. Sie wollen mehr Bier verkaufen. Und wir wollen Werbung machen, die aus dem Einerlei herausbricht. Natürlich wollen Ihnen meine Kollegen weismachen, dass das ein und dasselbe ist. Aber das ist nicht wahr.«
    Unruhig rutschte sein Beratungsgeschäftsführer Doktor Haslsteiner auf dem Sessel herum: »Würdest du bitte zum Punkt kommen, Tom!«
    Genervt holte Tom Luft.
    »Zum Punkt. Was ist der Punkt von … Bier. Ist das ein goldgelbes Bierglas auf einem Holztisch, das in der Sonne glänzt? Ist das eine hübsche Bedienung mit blondem Haar, die beim Servieren ein Stückchen von ihrem Dekolleté zeigt? Ist
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