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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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Bildungsinstituten gespart wurde. Er legte eine Folie mit dem Porträt einer Frau Anfang 30 drauf und schaltete den Projektor ein. »Ich bin drauf trainiert, die großen Fragen zu stellen. Und sie zu beantworten.« Wondrak war so sauer darüber, mit seinem Eröffnungsscherz keine Resonanz gefunden zu haben, dass er gar nicht merkte, wie sein Ton ins Lehrerhafte, Arrogante gekippt war. Und dass plötzlich eine lähmende Schwere über der Klasse lag. »Was wissen wir über sie: Clara Braunstätter, 37 Jahre,
Kurierfahrerin aus Fürstenfeldbruck, Buchenauerstraße, alleinstehend, keine Geschwister, ihre Firma hat sie als vermisst gemeldet.«
    »Ihre Firma, warum nicht ihre Mutter?«, fragte einer in Reihe vier.
    »Das ist zum Beispiel eine kleine Frage«, entgegnete Wondrak herablassend, der für heute beschlossen hatte, auf der Seite der Arroganten Platz zu nehmen. »Die kleine Antwort darauf lautet: weil die Kurierfirma ihr kleines schwarzes Technikkastl zurückhaben wollte. Wie heißen diese Kastln?«
    »PDA-Phone!«, meldete sich ein blasser Junge in der ersten Reihe.
    »Sehr brav, eine kleine Antwort auf meine kleine Frage. Was gibt’s noch für Fragen, ich bitte um zahlreiche Wortmeldungen, kleine oder große, tun Sie sich keinen Zwang an!«, frotzelte er.
    »Bei wem hat sie das letzte Paket ausgeliefert?«
    Wondrak musste seinen Oberkörper drehen, sein Kopf saß in letzter Zeit merkwürdig fest auf seinem Hals und ließ sich nicht mehr so leicht drehen wie früher. Er nahm es als körperliche Manifestation seiner Charakterstärke und Kontinuität. Die Stimme kam von dem Tisch, auf dem er saß. Eine junge, blasse Frau mit kurzen Haaren, von der Wondrak schon heute ein Phantombild im Kopf hatte, wie sie mit 75 Jahren aussehen würde. »Sehr gut, eine große Frage. Noch etwas von diesem Kaliber?« Er schrieb ›Letzte Lieferung?‹ auf die Folie neben das Porträt.
    »Mit wem hat sie zuletzt telefoniert?«, fragte der Typ, der wusste, was ein PDA-Phone ist und es vermutlich auch von einem Blackberry unterscheiden konnte.
    »Na also, nur Mut, Sie haben es immerhin schon zur mittelgroßen Frage geschafft.« Wondrak kam sich vor wie ein Animateur in einem heruntergekommenen Ferienclub. Ein Robinson mit einem 300 Jahre langen Bart. Vom Zisterzienserkloster über das Invalidenheim für die Veteranen der Königlich-Bayerischen Armee hatte es der Bau also nun zum Ferienclub gebracht, in dem sich junge Polizeibeamte langweilten. Das hatten die alten Mauern nun wirklich nicht verdient.
    Seltsam, diese jungen Leute. Da hatten sie endlich mal einen Fall aus der Praxis, und statt sich in Kommissare zu verwandeln, blieben sie Schüler in einer Schulstunde. Die Trägheit war ansteckend. »Herrgottnochmal – nur eine große Frage? Ihr wollt die Elite der Polizei sein? Na, gute Nacht, Bayern!«
    »Wo steht das Auto?« Ein dicker Junge, dem der jahrelange übermäßige Genuss von Schweinefleisch deutlich anzusehen war, meldete sich zu Wort. Normalerweise neigte Wondrak dazu, ihn in Zweifelsfällen eher eine halbe Note schlechter zu bewerten, doch heute wollte er mal eine Ausnahme machen.
    »Na bravo, da haben wir doch noch eine große Frage von einem großen Denker. Wo steht das Auto?« Sehr gut, Schweinebacke, wollte er noch anfügen, verkniff es sich aber, während er ›Auto?‹ auf die Folie schrieb.
    Der Rest der Klasse machte nach wie vor ein Gesicht, das man mit ›Wir sind hier vollkommen unterfordert!‹ interpretieren konnte, da erhob sich eine dünne Stimme: »Es gibt noch eine große Frage: Lebt Clara Braunstätter, und wenn ja, wie lange noch?«
    Die wirklich große Frage ist die nach Leben oder Tod. Wondrak hätte sie fast vergessen. Die Vermisste, der er sich im Moment nur aus pädagogischen Gründen widmete, könnte genauso gut bereits tot sein. Er suchte das Gesicht zur Stimme und als er es gefunden hatte, wusste Wondrak, warum vorhin eine Unruhe durch die Klasse gegangen war, zu Beginn der Stunde, als er den Projektor eingeschaltet hatte. Eine mittelgroße, mittelhübsche junge Frau mit brünettem, schulterlangem Haar. »Ausgezeichnet: Eine sehr große Frage. Die größte von allen. Aber da ist noch eine Frage, eine, die sich mir erst jetzt stellt: Ist es Zufall, dass Sie unserer Vermissten wie aus dem Gesicht geschnitten sind?«
    Die Angesprochene entgegnete kühl: »Wenn ich mir die Einschätzung erlauben darf, Herr Wondrak: Das gehört in die Kategorie der kleinen Fragen.« Nun war die Klasse endlich
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