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Werbevoodoo

Titel: Werbevoodoo
Autoren: Ono Mothwurf
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war er herausragend.
    Das hatte ihm der alte Schneidervater erklärt, nachdem er seine Bewerbungsmappe durchgeblättert und ihn direkt eingestellt hatte, über den Kopf von Arnold O. Langer hinweg, dem wichtigsten Art-Director des Hauses.
    Eingestellt war leider nicht gleichbedeutend mit angestellt.
    Timo war Praktikant. Und trotz seiner 60 Stunden-Woche bekam er gerade mal 630 Euro im Monat. »Überstunden? In keiner Agentur der Welt werden Überstunden bezahlt! Na gut, vielleicht in der Agentur für Arbeit. Aber nicht in Werbeagenturen.« Hatte ihm der Kreativdirektor Tom Thamm erklärt.

     
    Timo war nicht wirklich verwundert, er wusste das bereits aus den beiden Jobs, die er davor gemacht hatte.
    Bei ›Burn‹ (der Agenturslogan versprach: ›Zeit ist das Feuer, in dem wir brennen‹) hatte alles angefangen. Einem kreativen Hotshop, mit einer ganzen Wand voller Auszeichnungen und Kampagnen, die in aller Munde waren. Dort hatte er fast Tag und Nacht gearbeitet, denn die Arbeit fühlte sich gar nicht wie Arbeit an. Sie war reines Vergnügen. Und dieses Vergnügen sprang auf wunderbare Weise von Timos Werken auf ihre Betrachter über. Timo spürte nicht, dass die Zeit verging. Er spürte nur das Feuer, Ideen zu erzeugen, die Millionen von Kunden sehen würden. Und die sie vielleicht dazu bringen würden, Dinge zu tun oder nicht zu tun. Zu kaufen oder nicht zu kaufen. Wach zu werden oder weiter zu schlafen.
    »Und, was meinst du?«, fragte er immer leicht unsicher, wenn er einen Entwurf fertig hatte. Die Antworten variierten, wenngleich die Richtung immer dieselbe war. Seine Kreativ-Kollegen sagten: »Geil!«, die Berater: »Super!«, die englischstämmige Strategin: »Brillant!«, und die Kunden: »Ist gekauft.«
    Timo fühlte sich, als wäre er nicht nur der Mittelpunkt der Agentur, sondern auch der wichtigste Botschafter der Welt. Schnell waren die neun Monate bei › Burn‹ um. Am letzten Tag des Praktikums stand er bei Robert, seinem AD, also Art-Director, der gerade mal drei Jahre älter war als er, im Büro. »Äh, was mache ich eigentlich morgen?«
    Robert hob nicht einmal den Blick vom Laptop, als er antwortete: »Weiß ich doch nicht.«
    »Ja, ich dachte, ich mache bei euch weiter.«
    Langsam hob Robert die Augen und sah Timo an: »Du weißt doch, wir übernehmen grundsätzlich keine Anfänger.«
    »Ich bin doch kein Anfänger mehr.«
    »Sagst du.«
    »Heh – ich habe neun Monate Erfahrung.«
    »Klar. Du kriegst ein gutes Zeugnis von mir. Mach’s gut!«

     
    Als Timo am nächsten Tag aufwachte, war er genau dort, wo er schon einmal angefangen hatte. Direkt nach dem Abschluss als diplomierter Grafik-Designer. Aber es fühlte sich weniger euphorisch an. Er wusste nun, dass die Welt nicht auf ihn gewartet hatte. Auf ihn wartete nur eine schmucklose Kette von Bewerbungsgesprächen, vagen Versprechungen und der Erkenntnis, dass in zehn bis zwölf Monaten ein anderer Praktikant auf diesem Sessel sitzen würde.

     
    Bei Suttner & Suttner lief es deutlich besser. »Ah, du liebst den Job, das sieht man«, meinte Bernd Suttner beim Durchblättern von Timos Mappe. »Bei uns wirst du ihn noch mehr lieben. Du darfst auf unserem wichtigsten Etat arbeiten. Kannst du Auto?«
    »Als Junior-AD?«
    Suttner lächelte gönnerhaft. »Darüber können wir in neun Monaten gern reden, ich könnte mir gut vorstellen, dass du zu uns passt. Aber vorher müssen wir uns beschnuppern, und das läuft bei uns nur über ein Praktikum. Abgemacht?«
    Nach neun Monaten war Suttner immerhin bereit, das Praktikum um drei Monate zu verlängern, danach bekam Timo einen freundlichen Brief:

     
    Lieber Timo,
    leider erlaubt es die Profit-Situation der Agentur im Moment nicht, Dich als Junior-AD zu übernehmen. Um Deiner weiteren kreativen Entwicklung nicht im Wege zu stehen, müssen wir das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2008 leider auflösen. Alles Gute, wir hoffen, dass wir Dich eines Tages wieder zurückbekommen.
    Dein Bernd

     
    ›Praktikanten, die vor Begeisterung brennen, sind die wichtigsten Energieträger der Werbeagenturen‹ hatte ein Werbe-Fachblatt vor einiger Zeit geschrieben.
    Zyniker, von denen die Werbebranche bekanntlich voll ist, haben noch hinzufügt: ›Diese Energieträger sind auch von ihrer CO 2 -Bilanz her besser. Mit ihren Hungerlöhnen können sie sich nämlich kein Fleisch leisten.‹

     
    ›Die weitere kreative Entwicklung‹ bestand nun also darin, dass Timo nicht mehr im Glockenbachviertel in München
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