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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du
Autoren: Lisa Gardner
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hängte eine Schaukel in die Eiche.
    Als ich einmal das Wochenende über arbeiten musste, füllte er meinen Kühlschrank auf, damit Sophie und ich durch die nächste Woche kamen. Nachdem ich einmal eines Nachmittags einen Verkehrsunfall mit drei toten Kindern hatte aufnehmen müssen, las er die Gute-Nacht-Geschichte für Sophie, während ich im Schlafzimmer Löcher in die Luft starrte und versuchte, die Bilder aus dem Kopf zu kriegen.
    Später schmiegte ich mich auf dem Sofa an ihn, während er mir von seinen vier Schwestern erzählte, unter anderem die Episode, wie sie ihn im Schlaf geschminkt hatten. Er war daraufhin zwei Stunden lang mit glitzernd blauem Lidschatten und knallroten Lippen auf seinem Fahrrad um den Block geradelt, ehe ihm in einem Fenster sein Spiegelbild auffiel. Ich lachte. Dann weinte ich. Dann drückte er mich an sich, und wir sagten beide kein Wort mehr.
    Der Sommer ging vorbei. Es wurde Herbst, und er musste wieder in See stechen. Für acht Wochen. Thanksgiving würde er wieder zurück sein, versprach er. Ein guter Freund kümmerte sich um Duke. Aber wenn wir wollten …
    Er gab mir seinen Schlüssel. Wir könnten es uns jederzeit in seinem Haus gemütlich machen und auch nach eigenen Wünschen gestalten, wenn wir wollten. Das kleine Schlafzimmer für Sophie vielleicht pink streichen. Ein paar Bilder an die Wand hängen. Quietschenten fürs Badezimmer besorgen. Egal was, wir sollten uns bloß wohl fühlen.
    Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, er küsste mir die Handfläche.
    Er solle sich um uns keine Sorgen machen, wir kämen gut klar miteinander. Bis in acht Wochen.
    Sophie weinte und weinte.
    Es seien nur zwei Monate, versuchte ich ihr beizubringen. Alles halb so schlimm. Er wäre ja bald wieder zurück.
    Ohne Brian gestaltete sich unser Alltag um einiges trister und immer gleich: aufstehen um eins, gegen fünf Sophie von der Kindertagesstätte abholen, sie bis zum Schlafengehen um neun beschäftigen und auf Mrs. Ennis warten, die gegen zehn kam, sodass ich meine Schicht von elf bis sieben antreten konnte. Der Alltag einer alleinstehenden berufstätigen Mom, die sich abmüht, um mit dem Geld zurechtzukommen, von Termin zu Termin hetzt, ihre Vorgesetzten bei Laune zu halten und gleichzeitig den Bedürfnissen ihrer Tochter gerecht zu werden versucht.
    Du schaffst es, redete ich mir ein. Ich war zäh. Schwangerschaft und Geburt hatte ich allein durchgestanden, fünfundzwanzig lange, einsame Wochen im Internat der Polizeiakademie ausgehalten und dabei Sophie mit jedem Atemzug schmerzlich vermisst, aber trotzdem an meinem Vorsatz festgehalten, Polizistin zu werden, weil mir das als die beste Möglichkeit erschien, für die Zukunft meiner Tochter sorgen zu können. Freitagabends durfte ich zu Sophie nach Hause zurückkehren, musste sie aber montagmorgens immer weinend in der Obhut von Mrs. Ennis zurücklassen. Woche für Woche, bis ich den Druck kaum mehr aushalten konnte. Aber ich schaffte es. Für Sophie gab ich alles.
    Trotzdem schaute ich nun häufiger in meinem Posteingang nach, denn immer wenn Brian in irgendeinem Hafen vor Anker lag, schickte er uns eine Nachricht, manchmal mit einem lustigen Foto, zum Beispiel von einem Elch, mitten auf einer Landstraße in Alaska. In der sechsten Woche wurde mir bewusst, dass ich an Tagen, wenn eine Nachricht von ihm kam, glücklich war, aber gereizt und unzufrieden, wenn nicht. Sophie ging es ähnlich. Jeden Abend saßen wir vor dem Computer, zwei Mädchen, die von ihrem Mann zu hören hofften.
    Dann endlich rief er an. Sein Schiff lag in Ferndale, Washington. Übermorgen würde er freigestellt werden und den Nachtflug nach Boston nehmen. Ob wir Lust hätten, mit ihm zu Abend zu essen?
    Sophie entschied sich für ihr dunkelblaues Lieblingskleid. Ich trug das orangefarbene Sommerkleid von der Party am 4. Juli, darüber eine Strickjacke, um mich gegen die Novemberkälte zu wappnen.
    Sophie hielt am Fenster ungeduldig Ausschau und entdeckte ihn als Erste. Sie kreischte vor Freude und rannte so schnell die Treppe hinunter, dass ich Angst hatte, sie könnte stürzen. Vor dem Eingang warf sie sich Brian in die Arme. Er hob sie hoch und wirbelte sie durch die Luft. Sie lachte und lachte und lachte.
    Ich näherte mich leise, ließ mir Zeit, ein letztes Mal die Haare zu richten, und knöpfte die Strickjacke zu. Mit dem Rücken zur Straße schloss ich die Haustür.
    Dann drehte ich mich um und schaute ihn an, aus drei Schritt Entfernung. Ich sog seinen
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