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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du
Autoren: Lisa Gardner
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der Polizeiakademie unter anderem Tatortanalyse. Heute hatte er einen vollen Stundenplan, morgen einen freien Tag. Wie sie. Weil das nicht allzu häufig vorkam, wollten sie gemeinsam etwas unternehmen; was, hatten sie noch nicht entschieden. Vielleicht Eislaufen in den Boston Commons. Oder ein Besuch im Isabelle Stewart Gardner Museum. Oder auch nur Faulenzen vor der Glotze, mit alten Filmen und einer großen Schale Popcorn in Reichweite.
    D.D. klammerte sich an ihren Becher. Okay, vielleicht lieber kein Popcorn.
    Sie zählte achtzehn, neunzehn, zwanzig –
    Alex hatte die Handschuhe übergezogen, griff nach seiner abgewetzten schwarzen Ledertasche und kam zu ihr.
    «Verzehr dich nicht zu sehr nach mir», sagte er.
    Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. D.D. schloss die Augen und zählte im Stillen von zwanzig rückwärts.
    «Ich werde dir jeden Tag Liebesbriefe schreiben, mit kleinen Herzchen auf den i», erwiderte sie.
    «In dein Highschool-Heft?»
    «Genau.»
    Alex machte sich auf den Weg zur Tür. D.D. war bei vierzehn. Der Becher zitterte, was Alex aber nicht zu bemerken schien. Sie holte tief Luft und fasste sich. Dreizehn, zwölf, elf …
    Sie und Alex waren ein bisschen über sechs Monate zusammen. Inzwischen nannte sie auf seiner winzigen Ranch eine ganze Schublade ihr eigen, während er in ihrer Eigentumswohnung in North End nur einen kleinen Winkel im Wandschrank beanspruchte. Wenn er unterrichtete, wohnte sie hier bei ihm. Wenn sie arbeitete, war es bequemer für beide in Boston. Einen geregelten Zeitablauf gab es nicht, denn das hätte weitere Planungen nach sich gezogen und eine Beziehung weiter gefestigt, die sie zunächst einmal möglichst offen halten wollten.
    Sie waren gern zusammen. Alex respektierte ihren verrückten Dienstplan als Detective der Mordkommission. Sie respektierte seine Kochkünste als Italoamerikaner in dritter Generation. Sie freuten sich auf gemeinsame Nächte, konnten aber auch solche gut aushalten, in denen jeder für sich war. Beide legten Wert auf Unabhängigkeit. D.D. war gerade vierzig geworden, er hatte diese Marke schon vor ein paar Jahren überschritten. Den Zeiten, in denen Verliebte ausschließlich den anderen im Kopf hatten, waren sie jedenfalls entwachsen. Alex war schon einmal verheiratet gewesen. D.D. wusste es einfach besser.
    Sie lebte, um zu arbeiten, was andere ungesund fanden. Aber das war ihr egal. Sie fuhr nicht schlecht damit.
    Neun, acht, sieben …
    Alex öffnete die Haustür und straffte die Schultern, um sich dem bitterkalten Morgen zu stellen. Ein eisiger Luftzug fuhr durch den kleinen Flur und streifte ihre Wangen. Fröstelnd hielt sie den Becher noch fester umklammert.
    «Ich liebe dich», sagte Alex und trat über die Schwelle.
    «Ich dich auch.»
    Er zog die Tür hinter sich zu. D.D. schaffte es in letzter Sekunde ins Bad, um sich zu übergeben.

    Zehn Minuten später war sie immer noch im Badezimmer, lang ausgestreckt auf dem Boden. Die Kacheln stammten aus den Siebzigern, kleine beige-braune und herbstgoldene Quadrate, deren Anblick sie wieder würgen ließ. Trotzdem begann sie die Dinger zu zählen wie bei einer Meditationsübung. Und tatsächlich, es wirkte. Irgendwann begannen sich ihre erhitzten Wangen abzukühlen, und der verkrampfte Magen beruhigte sich wieder.
    Ihr Handy klingelte. Sie warf einen Blick darauf, nicht sonderlich interessiert unter den gegebenen Umständen. Als sie aber den Anrufer im Display erkannte, hatte sie Erbarmen.
    «Was ist?», fragte sie. So grüßte sie immer ihren Ex-Lover und seit kurzem verheirateten Kollegen bei der State Police von Massachusetts Bobby Dodge.
    «Ich habe nicht viel Zeit. Hör zu.»
    «Ich bin nicht an Deck», erwiderte sie automatisch. «Neue Fälle gehen an Jim Dunwell. Belästige den.» Sie krauste die Stirn. Bobby würde sie nicht wegen eines neuen Falls anrufen. Als Stadtpolizistin nahm sie ihre Befehle von der Bostoner Zentrale entgegen, nicht von einem Detective der State Police.
    Bobby redete weiter, als hätte sie nichts gesagt: «Bei uns ist gerade die Kacke am Dampfen, und ich fürchte, es ist unsere eigene Scheiße. Also hör mir gefälligst zu. Nebenan flattern Stars and Stripes, und vor der Tür lauert die Presse. Schleich dich von hinten ran. Und halt die Augen auf. Ich habe den Überblick verloren. Glaub mir, D.D., in dieser Sache dürfen wir uns nicht den kleinsten Fehler erlauben.»
    D.D.’s Stirnrunzeln vertieften sich. «Wie bitte? Ich habe nicht den geringsten Schimmer,
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