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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War
Autoren: Christa Bernuth
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ins Auge, eine Tatsache, die Alex nicht weiter beunruhigt, schon
     allein deshalb nicht, weil ihm alles plötzlich so unwirklich vorkommt, als sähe er sich selbst zu. »Erst sah es nach einem
     Schlaganfall aus, aber der Schlaganfall war nur eine eventuelle Folgeerscheinung.«
    »Eine Folgeerscheinung? Wovon?«
    »Von einem Schlag auf den Hinterkopf. Man konnte ihn nicht auf den ersten Blick sehen. Das Opfer hat sehr dichtes Haar, und
     die Blutung fiel gering aus.«
    »Dann gab es also den Schlaganfall gar nicht.«
    »Doch, wie gesagt, eventuell als Folgeerscheinung. An der Verletzung allein wäre er nicht gestorben. Wie das alles zusammenhängt,
     da müssen Sie einen Mediziner befragen.«
    »Niemand hat mir etwas davon gesagt.«
    »Ja, wir haben die Familie gebeten, Stillschweigen zu bewahren. Im Interesse der Ermittlungen.«
    »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
    Kreitmeier sieht ihn beinahe erfreut an. Er hat dichtes dunkelblondes Haar von beneidenswerter Qualität, dafür hat Alex mittlerweile
     ein gutes Auge entwickelt. Er weiß natürlich auch, woher dieses plötzliche Interesse für die Frisuren anderer Männer kommt.
     Das hat etwas mit seiner eigenen Haarpracht zu tun, die sich in den letzten paar Jahren derartig schnell reduzierte, dass
     nicht einmal energetisiertes Wasser aus heiligen Quellen den rasanten Schwund aufhalten konnte.
    »Wie meinen Sie das?«, fragt Kreitmeier mitten hinein in Alex’ düstere Gedanken über schwindende Manneskraft, das schütteres
     Haar seiner Überzeugung nach symbolisiert, und zwar ganz egal, wie oft ihm Juliane auf ihre liebe Art versichert, dass sie
     Männer mit Glatze erotisch finde.
    »Was?«, fragt er unfreundlich zurück. Er riecht plötzlich sich selbst, seinen eigenen Schweiß, und das irritiert ihn noch
     mehr.
    »Sie haben gesagt, Sie könnten mir helfen. Wie? Wissen Sie irgendetwas?«
    »Das kommt darauf an. Ich muss mich erst mit der Situation auseinandersetzen. Sie
erfühlen
, falls Sie verstehen, was ich meine.« Dann hätte Alex beinahe laut herausgelacht angesichts Kreitmeiers verständnisloser
     Miene, und schließlich fügt er hinzu, einfach nur so, weil Kreitmeier dermaßen komisch aussieht in seiner Ratlosigkeit: »Ich
     kann Dinge
sehen
, verstehen Sie? Hinweise
erfühlen
, die Ihnen vielleicht weiterhelfen.«
    Kreitmeier macht seinen Mund wieder zu. Er bemüht sich um einen strengen, offiziellen Gesichtsausdruck, der vermutlich besagen
     soll, dass es sich bei dieser Unterhaltung mitnichten um ein witziges Geplänkel handelt. Dann sagt er, die Stimme nun wieder
     tief und sonor: »Wann haben Sie Herrn Dahl zum letzten Mal gesehen?«
    »Gestern Nacht. In einem Traum.«
    »Soll das komisch sein?«
    »Nein. Es ist einfach die Wahrheit. Ich habe von ihm geträumt, und er hat um Hilfe gerufen.«
    »Aha.«
    »Das können Sie nun glauben oder nicht.«
    »Hören Sie mal, Herr Zettritz   …«
    »Czettritz. C und z   …«
    »Danke für den Hinweis, Herr
Tschettritz
. Also, um das hier zu Ende zu bringen, es ist mir egal, von wem Sie geträumt haben. Ich möchte lediglich wissen, wann Sie
     Herrn Dahl zum letzten Mal gesehen haben. Ich meine,
getroffen
haben. In der
Realität

    Alex erkennt, dass er den Bogen überspannt hat. Das passiert ihm nicht zum ersten Mal, und mit zunehmendemAlter beginnt es, ihm etwas auszumachen. Dass sich sein Verständnis von Humor mit dem überwiegenden Rest der Welt nicht deckt,
     zum Beispiel, oder dass selbst intelligente, vordergründig selbstständige Frauen, einschließlich Juliane, immer nur das eine
     wollen, nämlich Sicherheit und Kontinuität, als hätte sie ein riesiger Computer auf diese beiden Begriffe programmiert, um
     nicht zu sagen: reduziert. Oder dass alle Menschen, die er kennt, immer wieder dieselben Fehler machen, ohne je dazuzulernen,
     oder dass die Welt beherrscht wird von skrupellosen Konzernen, schwerfälligen internationalen Organisationen und korrupten
     Partei-Apparaten, statt von Liebe, Vernunft und spiritueller Weitsichtigkeit. Und nicht zuletzt, dass ein beschränkter Mensch
     wie dieser Kreitmeier in der Lage ist, Alex’ Kooperation zu erzwingen, einfach, indem er einen Teil von Alex’ kostbarer Lebenszeit
     mit Beschlag belegt.
    Da es nichts gibt, was er dagegen tun kann, beschließt er widerwillig, zu kooperieren.
    »In der Realität«, wiederholt er langsam, während Kreitmeier seinen silberfarbenen Kugelschreiber hektisch zwischen Daumen
     und Zeigefinger hin und her dreht,
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