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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War
Autoren: Christa Bernuth
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als
     wartete er auf mehr, aber da wartet er vergeblich, denn Alex hat nun einmal die besten Erfahrungen damit gemacht, sich jedes
     Wort aus der Nase ziehen zu lassen. Große Informationsbrocken überfüttern die meisten Menschen, während übersichtliche Häppchen
     ihren Appetit wecken.
    »Wie, durcheinander?«, fragt Kreitmeier, als von Alex noch immer nichts weiter kommt, aber Alex wirft in aller Gemütsruhe
     einen Blick auf die Küchenuhr über der Spüle, die zehn Uhr zeigt, was besagt, dass Kreitmeier bereits seit einer halben Stunde
     hier ist. Aber mittlerweile findet Alex seine Anwesenheit überhaupt nicht mehr störend, sondern sogar angenehm, und während
     die Sonne ihren ersten schmalen hellen Streifen in die Küche schickt, fällt er in einen leicht dozierenden Ton, sagt: »Wie
     ein Mensch, der nicht weiß, wo er hinwill. Oder sagen wir es anders: Wie ein Mensch, der Wünsche hat, die seinen anderen Wünschen
     im Weg stehen.«
    »Aha«, sagt Kreitmeier.
    »Es ist ganz einfach«, sagt Alex, nun in seinem Element, »stellen Sie sich vor, Sie lieben eine Frau, die darauf besteht,
     Sie zu heiraten, und diese Frau droht damit, Sie zu verlassen, wenn Sie ihr nicht den Willen tun. Und nun wollen Sie einerseits
     auf keinen Fall von dieser Frau verlassen werden, andererseits wollen Sie sie aber auch auf keinen Fall heiraten.«
    »Aha.«
    »Paul wollte Dinge, die sich nicht vereinbaren lassen.«
    »Welche Dinge?«, fragt Kreitmeier.
    »Eine schöne, intelligente, sinnliche Frau, die hundertprozentig treu ist, und kein Problem damit hat, dass er jeden zweiten
     Abend ausgeht, während sie zu Hause sitzt und auf ihn wartet. Natürlich ist sie charmant, witzig, hochgebildet, sehr erfolgreich,
     eine fantastische Köchin und völlig fixiert auf ihn, aber dabei nie lästig.«
    »Ich verstehe«, sagt Kreitmeier, während sich ein Lächeln über sein Gesicht ausbreitet, und schon zwei Minuten später hat
     er sich verabschiedet.

KLAUS
    Als Klaus ein Kleinkind war, trennten sich seine Eltern, weil sein Vater eine neue Frau kennengelernt hatte. Nach der sehr
     hässlichen Scheidung zog seine Mutter mit ihm in eine andere Stadt und begann, als Sekretärin in einer großen Wäschefirma
     zu arbeiten, erst in einem Pool mit dreißig Kolleginnen, einige Jahre später als Assistentin des Geschäftsführers. Seine Mutter
     war sehr hübsch und trug, sozusagen von Berufs wegen, und weil sie sie zum Sonderpreis bekam, gern reizvolle, schwarze Dessous,
     was unangenehm für ihren Sohn war, denn sie hatte die Angewohnheit, ihre BHs und Slips nach dem Waschen im gemeinsamen Bad
     aufzuhängen. Weshalb es Klaus vermied, Schulfreunde mit nach Hause zu bringen, und wenn es doch einmal vorkam, rannte er als
     Erstes ins Bad, riss die Teile rasch von der Leine und ließ sie im Wäschekorb verschwinden. Das war eine so unmännliche und
     überflüssige Tätigkeit gewesen, dass ihn die Erinnerung daran heute noch mit Zorn erfüllt, so, wie es ihm heute noch unangenehm
     ist, wenn seine Freundinnen mit Tüll besetzte Tangas oder schwarze Spitzen-BHs tragen, weil es ihm dann immer so vorkommt,
     als müsste er mit seiner Mutter ins Bett gehen.
    In der Nacht vor der Obduktion von Paul Dahls Leiche träumte Klaus von einer Frau in roter Wäsche, die vor ihm kniete und
     ihn mit dem Mund befriedigte. Sehr gut war daran, dass sie keine dunklen Locken wie seine Mutter hatte, sondern blonde glatte
     Haare, also sah Klaus wohlgefälligauf sie herunter, während die Erregung in ihm wuchs und wuchs und schließlich seinen ganzen Körper wie ein machtvolles Vibrieren
     ausfüllte. Ihr Gesicht war aus dieser Perspektive schlecht zu erkennen – er wollte auch gar nicht wissen, wer sie war und
     ob er sie kannte   –, aber ihre Augenbrauen sahen aus wie gemalt; zwei hohe, runde, ganz schmal gezupfte Bögen. Er starrte auf diese beiden Halbkreise
     und hörte sich selbst stöhnen, noch nie, dachte er, war er dermaßen geil, gleichzeitig wusste etwas in ihm, dass er träumte,
     und er versuchte verzweifelt, nicht ausgerechnet jetzt aufzuwachen, aber dann wachte er doch auf, fand sich bäuchlings auf
     seinem Bett in seiner gerade erst bezogenen Wohnung, in der noch die Umzugskartons herumstanden. Kaltes Tageslicht durchflutete
     das ungemütliche Zimmer, und er schaffte es nicht zu kommen.
     
    Die Leiche befindet sich, abgedeckt auf einer Rollbahre, im Autopsiesaal, in der hintersten Ecke neben dem Instrumentenschrank,
     als wäre sie da
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