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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War
Autoren: Christa Bernuth
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sie
     sich jetzt dunkel zu erinnern glaubt, aber das ist nicht mehr herauszufinden, denn sie hat gestern Abend alle gelöscht, weil
     keine von Manuel darunter gewesen ist.
    »Erzähl’s mir jetzt«, bittet sie.

ALEX
    Seit der Jahrtausendwende bewegt sich die Welt in einer Zone des Zwielichts, warnen die Sichtigen vor Kriegen, Anschlägen
     und Naturkatastrophen, besteht die einzige Rettung vor der endgültigen Vernichtung darin, sich dem spirituellen Weg zu öffnen.
     Also holt sich Alex von der Jungfrau Maria energetisiertes Wasser aus einer kleinen Quelle im Norden der Stadt, hängt ein
     Drahtgeflecht in Pyramidenform mit der Spitze nach unten über Obst und Gemüse, um es länger haltbar zu machen, und pendelt
     täglich sowohl seine Nahrung als auch seine geplanten Aktivitäten aus. Er besucht spirituelle Seminare und lässt sich von
     einer der Vortragenden zum Heiler ausbilden, obwohl er insgeheim davon überzeugt ist, dass er das, was sie ihm beibringen
     will, zumindest in den Grundzügen längst beherrscht.
    Natürlich halten ihn manche Leute für verrückt.
    Er sieht bereits zu vieles, das Nicht-Sichtigen verborgen bleibt, und das macht ihnen Angst, den armen, von Gier und Panik
     Getriebenen. In der Nacht, bevor der Polizist vor seiner Tür steht, hat er zum Beispiel geträumt, dass Paul ihn um Hilfe rief;
     Paul stand auf einem Berg, seine Füße füllten einen See, und sein Kopf ragte in die Wolken, und seine Stimme war überall.
    Hilf mir.
    Am nächsten Morgen erörtert Alex seinen Traum im Bett mit Juliane, einer Suchenden wie ihm, die seit einigen Monaten mit einer
     gewissen Regelmäßigkeit bei ihm übernachtet,was Alex nicht stört, aber doch manchmal irritiert, weil es ihm so vorkommt, als hätte er selbst kaum etwas mit dieser Entwicklung
     zu tun, als hätte Juliane alles alleine entschieden.
    Als er von seiner nächtlichen Vision berichtet, liegt Juliane seitlich auf dem Kissen und sieht ihn aufmerksam, allerdings
     mit vor Müdigkeit verquollenen Augen an; aus dieser ungünstigen Perspektive wirkt ihr Gesicht überhaupt ganz schief und formlos,
     und natürlich ist es ungerecht, beinahe gemein, solchen Äußerlichkeiten irgendeine Bedeutung beizumessen. Aber es nützt nichts,
     wieder einmal fragt sich Alex, wie diese Beziehung hatte entstehen und so eng werden können, ohne dass er es richtig mitbekommen
     hat.
    »Was glaubst du, hat er damit gemeint?«
    »Womit gemeint?«
    »Er hat ›Hilf mir‹ gesagt. Das muss doch eine Bedeutung haben.« Ein ungeduldiger, fast schon genervter Unterton hat sich in
     seine Stimme geschlichen, und das tut ihm sofort, als es ihm bewusst wird, sehr, sehr leid. Seine neue Achtsamkeit für seine
     Gefühle hat auch anstrengende Aspekte; es ist einfach nicht mehr so ohne Weiteres möglich, aus Bequemlichkeit das, was ist,
     zu verdrängen. Er fügt eilig und versöhnlich an: »Das beschäftigt mich sehr.«
    »Natürlich«, sagt Juliane und versucht, ein verständiges Gesicht zu machen, aber Alex sieht ihr trotzdem an, dass sie diese
     Fragestellung am frühen Morgen überfordert. Und wieder kommt er sich schlecht vor, denn es lässt sich nicht leugnen, dass
     ihm diese Begriffsstutzigkeit auf die Nerven geht, und so versucht er, Juliane zuliebe, sich deutlicher auszudrücken. »Ich
     frage mich einfach, was Paul von mir will. Und warum er es von mir will.«
    »Das verstehe ich«, sagt Juliane. Und nun hört Alex ausder Art und Weise, wie sie es sagt, einen ihm ebenfalls unangenehmen Übereifer heraus, als hätte Juliane seine versteckte
     Botschaft auf einer tieferen Ebene sehr genau verstanden, und sei nun aus lauter Ergebenheit bestrebt, Wogen zu glätten, die
     sie gar nicht verursacht hat. Oder ist sie doch der Grund und nicht nur der Auslöser für seine plötzliche schlechte Laune,
     ist sie einfach die falsche Frau im falschen Bett und Alex, Achtsamkeit hin oder her, einfach zu feige, ihr die Wahrheit zu
     sagen? Er macht die Augen zu, um für sich zu sein. Will er –
ganz ehrlich
– doch lieber wieder ohne sie sein, und das heißt natürlich: erst einmal ohne irgendeine Frau? Aber seine Antworten fallen
     so vage und widersprüchlich aus, dass er beschließt, die Entscheidung zu vertagen, und während er das tut, spürt er, wie sich
     Juliane auf die andere Seite rollt und das Bett verlässt.
    Er öffnet ein Auge, und sieht noch ihren kräftigen, gebräunten Rücken ohne Bikinistreifen, weil sie Nacktbadestrände vorzieht;
     döst vor sich hin,
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