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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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Geschichten, sie stachelten unsere Fantasie an und weckten Sehnsüchte, wie es bei anderen Kindern vielleicht Märchen tun. Wenn Omi, was sie oft und gern tat, von der Metzgerei ihres Vaters erzählte, von den Blutgraupen, ein Wort, bei dem ich immer eine Gänsehaut bekam, wenn sie vom Geselchten schwärmte, von den geräucherten Schinken und den Wirschtlich, von Leberwürsten mit Majoran, von Blutwürsten aus Schweineschwarten und Blut, gewürzt mit Thymian und schwarzem Pfeffer, von Bratwürsten mit Zwiebeln und von geräucherten Hartwürsten mit hellen Speckgrieben, die sie beharrlich Grieven nannte, von diesen wunderbaren Würsten, die scharf waren und nach Knoblauch rochen, wenn sie vom Bauchfleisch erzählte oder von dem Schweinebraten, den es sonntags gab, von den Suppen, die ihre Mutter aus Knochen und Fleisch gekocht hatte, wurde ihre Stimme sehnsüchtig, und ihr Blick verlor sich in einer fernen Welt, die nur für sie sichtbar war.
    In meiner Vorstellung war dieses Dahaam eine Art Schlaraffenland, in dem einem die Wirschtlich in den Mund flogen und Messer und Gabeln in Schinken steckten, damit man sie gleich essen konnte. Aber Marie mochte diese Metzgereigeschichten nicht, es endete regelmäßig damit, dass sie sich die Ohren zuhielt und anfing zu schreien, hör auf, ich will das nicht, hör endlich auf. Sie aß nicht gern Fleisch und ekelte sich besonders vor Fetträndern, und bei Fettaugen auf der Suppe verzog sie angeekelt das Gesicht und tat, als müsste sie sich gleich übergeben. Wenn Marie sich so anstellte, erschrak Omi und erzählte schnell von den Wuchteln, die es jeden Sonntag gab, Hefetaschen, gefüllt mit Quark und Rosinen und vor allem mit viel Mohn. Auch für uns backte sie manchmal Wuchteln, dann stand sie lange in der Küche und schlug den Teig, auch wenn sie wusste, dass es nicht viel bringen würde, unsere Mutter machte sich nichts aus Wuchteln, unser Vater aß sie sowieso nicht, wegen des Mohns, denn was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht, und Marie pickte immer die Rosinen heraus und legte sie neben ihren Teller. Nur mir schmeckten Omis Wuchteln so, wie sie waren. Aber vielleicht versuchte ich auch nur, ihr zu gefallen.
    Omis Reich waren die Küche und der Garten. Im Wohnzimmer hielt sie sich nur auf, wenn unser Vater nicht da war, zumindest war es früher so, als wir klein waren. Kaum kam er zur Haustür herein, verschwand sie in der Küche oder im Garten, in dem sie Kartoffeln, Gemüse und Salat anbaute und in dem vor allem ihre geliebten Beerlich wuchsen, rote und schwarze Johannisbeeren, Stachelbeeren und Erdbeeren, die sie zu Marmeladen und Kompotten verarbeitete. Außer den Nutzpflanzen gab es auch ein paar Rabatten mit Blumen, allerdings keine stolzen Blumen wie Rosen oder Lilien, die sie hoffärtig nannte, sondern nur kleine, demütige Blumen, Stiefmütterchen, Vergissmeinnicht, Schlüsselblumen und im Herbst niedrige Astern, und wenn im Allacher Forst die ersten Veilchen blühten und später die Maiglöckchen, schickte sie uns immer los, um für sie ein Sträußchen zu pflücken, dafür bekamen wir dann ein paar Gutslich .
    Warum sie unserem Vater aus dem Weg ging, wo sie nur konnte, haben wir, Marie und ich, nie verstanden, obwohl wir dieses Thema oft genug diskutierten. Sie mochte ihn offensichtlich, jedenfalls mehr als Mutters frühere Bekanntschaften, denn dass unser Vater nicht der Erste gewesen war, hatten wir längst aufgeschnappt. Omi war es wichtig, dass er aus einem gut katholischen Elternhaus stammte, auch wenn er sich, genau wie unsere Mutter, von der Kirche losgesagt hatte, was für Omi ein Quell ewigen Leids war, der Anlass für viele Rosenkränze. Marie meinte, Omi sei einfach nicht an Männer gewöhnt, weil sie selbst ledig geblieben war. Natürlich musste es mal einen Mann in ihrem Leben gegeben haben, schließlich hatte sie als junge Frau unsere Mutter auf die Welt gebracht, aber darüber wurde bei uns nie gesprochen, wie über vieles nicht gesprochen wurde. Auch unserer Mutter schien dieses Thema peinlich zu sein, sie vermied es einfach, und Omi verhielt sich so, als wäre ihr das Kind direkt vom Himmel in den Schoß gefallen.
    Marie nannte hinter dem Rücken unserer Mutter diesen Großvater, den es gegeben haben musste und von dem wir nichts wussten, Omis Jackpot. Erst Jahre nach Omis Tod erzählte uns Friedel Stegmüller, Ottos Frau, sie habe von ihrer Schwiegermutter gehört, dass der Vater unserer Mutter einer von drei Musikanten gewesen sei, die bei
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