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Wer morgens lacht

Wer morgens lacht

Titel: Wer morgens lacht
Autoren: Mirjam Pressler
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einer Kirchweih aufgespielt hatten, aber welcher von den dreien es war und wie er geheißen hatte, habe ihre Schwiegermutter auch nicht gewusst. Maries Kommentar zu dieser Geschichte war, ein flotter Musikant als Großvater wäre ihr bedeutend lieber gewesen als eine fromme Großmutter, die als Buße für den einzigen Fehltritt ihres Lebens Tag für Tag beten musste.
    Fromm war sie wirklich, unsere Omi. Mittags, beim Angelusgebet, waren wir selten dabei, da waren wir noch in der Schule, aber abends, wenn es langsam dämmerte, kam die Zeit für den Rosenkranz. Dann saß Omi in der Küche, ließ die Perlen durch ihre Finger gleiten und murmelte die vertrauten Worte vor sich hin: Gegrüßet seist Du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit Dir; Du bist gebenedeit unter den Frauen und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes, Jesus. Bis heute weiß ich, obwohl ich nie Religionsunterricht hatte, die freudenreichen und die schmerzhaften und die glorreichen Geheimnisse auswendig, und das Wichtigste war immer der Satz: Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.
    Im Sommer spielten wir lieber draußen, Marie und ich, aber im Winter, besonders in der Vorweihnachtszeit, wenn der freudenreiche Rosenkranz gebetet wurde, saßen wir oft bei ihr in der Küche, in der es langsam dunkler wurde. Das leise Prasseln des Herdfeuers untermalte Omis Gemurmel, wir legten frische Scheite nach und ließen das Türchen offen, wir hockten uns vor unserer Omi auf den Boden und schauten, den Rücken an ihre Beine gelehnt, in die Flammen, bis das Holz verbrannt war und nur noch Glut übrig blieb. Manchmal war sie dann noch nicht fertig und wir schoben ein oder zwei Scheite nach. Es war sehr stimmungsvoll und tröstlich, ein Gemurmel gegen das Dunkel der Welt.
    Auch bei Gewitter wurde der Rosenkranz gebetet, der schmerzhafte. Im Gegensatz zu Marie, die Gewitter aufregend fand und sich, trotz Omis Warnungen, ans Fenster stellte und bei jedem Blitz begeistert lachte, hatte ich schon immer Angst vor Gewitter, und noch heute ertappe ich mich manchmal dabei, dass ich, auch ohne es ernst zu meinen, bei Gewitter in Gedanken sage: Bewahre uns vor dem Feuer der Hölle! Führe alle Seelen in den Himmel, besonders jene, die Deiner Barmherzigkeit am meisten bedürfen.
    Omi ging auch jeden Morgen in die Kirche, zur Messe um acht Uhr, ihr Stammplatz war in der vierten Reihe links, und sonntags gehörte der Kirchenbesuch sowieso dazu. Manchmal begleiteten wir sie, obwohl unsere Mutter immer maulte, hör doch auf, den Kindern mit diesem Blödsinn den Kopf zu verdrehen. Dann schlug Omi schnell drei Kreuze, um die ketzerischen Worte ihrer Tochter ungeschehen zu machen, bevor sie mit uns das Haus verließ. Ich mochte den Geruch in der Kirche, das gedämpfte Licht, den feierlichen Ernst und besonders die Lieder, die in dem hohen Raum seltsam vielstimmig widerhallten, dann schloss ich die Augen und bildete mir ein, jetzt alle Menschen auf der ganzen Welt singen zu hören. Doch obwohl ich diese geheimnisvolle Atmosphäre genoss, bin ich nicht fromm geworden und Marie schon gar nicht. Heute finde ich es erstaunlich, wie standhaft Omi an ihrem Glauben festhielt, trotz der abfälligen Bemerkungen, die sich unsere Mutter nicht immer verkneifen konnte, und ich finde es auch erstaunlich, dass diese Bemerkungen nicht häufiger kamen und nicht noch abfälliger waren. War das ein Zeichen von Toleranz oder von Gleichgültigkeit?
    Im Nachhinein bin ich mir übrigens gar nicht mehr sicher, dass unsere Großmutter wirklich so gläubig war, wie wir damals meinten. Heute denke ich eher, dass die Religion für sie vor allem eine Überlebensstrategie war, ein Hilfsmittel, um die unbegreifliche und als feindlich empfundene Welt zu verstehen. Bestimmt war sie eine Betschwester, wie unsere Mutter sie zuweilen spöttisch nannte, aber sie sprach selten über Gott, daran kann ich mich nicht erinnern, es ging ihr eigentlich immer nur um die armen Seelen und um eine gute Sterbestunde, um die hat sie jeden Tag gebetet, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Um ein gutes Leben hat sie nicht gebetet, das habe ich nie von ihr gehört. Seltsamerweise ist mir das als Kind nicht aufgefallen, dieser Gedanke ist mir erst lange nach ihrem Tod gekommen. Als Kind fand ich die Bitte um eine gute Sterbestunde so normal wie Bitten um Weihnachtsgeschenke oder Schokoladeneier zu Ostern.
    Mein Handy klingelt, auf dem Display
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