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Wer mit Hunden schläft - Roman

Wer mit Hunden schläft - Roman

Titel: Wer mit Hunden schläft - Roman
Autoren: Picus-Verlag
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gleichen Stelle und somit immer von der Rosemarie, die ihrer Mutter bei der Essensausgabe half, sein Frühstück ausgehändigt bekam. Bald schon trafen sie sich regelmäßig heimlich an den Freitagen abends. »In der völligen Finsternis des Zimmers bin ich am Rücken gelegen und habe gewartet, Kreisky. Jeden Freitag war das so. Habe den Schlafgeräuschen meiner Zimmerkameraden zugehört. Der unter mir hat nach jedem dritten Atemzug gegurrt wie eine Taube. Das Fenster war immer geschlossen wegen der mutmaßlichen Fluchtgefahr. Nach einer Stunde war man fast betäubt in dem Sechsbettzimmer. Besonders wenn es Szegediner Gulasch gegeben hat, und es hat ziemlich oft Szegediner Gulasch gegeben«, sagt der Herr Norbert. Die gleichmäßigen Geräusche wurden manchmal durch ein kurzes Wimmern oder das Fauchen eines Furzes unterbrochen. Er schwitzte, weil er die Decke bis zum Kinn hochgezogen und darunter sein Gewand anhatte, außer den Socken. Er kletterte vom Stockbett runter, das Eisenrohr an seinen Fußballen war angenehm kühl. Am Freitag war die Mutter von der Rosemarie immer aus. Traf sich mit ihrer Schwester zum Kartenspielen. Die kleine Schwester der Rosemarie schlief schon, wenn sich die Rosemarie auf den Weg machte. Murrte die Kleine, tätschelte ihr die Rosemarie den Kopf und flüsterte ihr ein Schlaflied ins Ohr. Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg und so weiter. Die Kleine schlief wieder ein und die Rosemarie schlich aus der Wohnung. Beim Norbert war das schon schwieriger. Er ging aus dem Zimmer, wenn der diensthabende Erzieher den letzten Kontrollgang hinter sich hatte. Das Erzieherzimmer hatte ein Fenster. Er sah den Erzieher vor dem Fernseher sitzen, die Hose aufgeknöpft, die rechte Hand wühlte darin herum. Die linke hielt mit ausgestrecktem Arm die Fernbedienung, auf die er regelmäßig draufdrückte. Daneben stand ein Doppler Wein, und im Aschenbecher verrauchte eine Zigarette. Er drückte sich an die Wand und schlich am Fenster vorbei, schloss vorsichtig hinter sich die Brandschutztür und ging runter zum Speisesaal. Der Schacht für die Erdäpfel war immer offen. Im Speisesaal brummten und surrten die elektrischen Geräte. Er schob den Rollladen hoch und kletterte über die Theke der Essensausgabe, schloss ihn wieder auf der anderen Seite. Er musste immer aufpassen, keinen der großen Töpfe umzuschmeißen. Die Töpfe rochen komisch. Das Essen roch auch immer komisch. Er kletterte den Erdäpfelschacht hoch und drückte das Gitter auf. Die Nacht war frisch. Es brauchte ein paar Atemzüge, bis die Luft mit dem schlechten Geruch aus seinen Lungen verschwunden war. Die Rosemarie lief das Stiegenhaus hinunter und nahm zwei Stufen auf einmal. Sie war spät dran. Sie war immer spät dran. In der Straßenbahn beachtete sie nie jemand. Das ist das Gute in Wien. Es gibt kein Interesse an Kindern, dazu müsste man ein Hund sein. Die Haut vom Norbert war durch den Schweiß und die frische Luft schnell ausgekühlt. Er ging neben der Praterallee entlang, im Dunkeln. Kam ihm jemand entgegen, senkte er den Kopf und schaute in den Boden hinein. Im hellen Licht des Praters wurde er sowieso unsichtbar. Er stellte sich neben den großen Calafati Chineser und wartete. Er war nie spät. Sie stieg aus der Straßenbahn, ging am Riesenrad vorbei und tauchte in das Licht ein. Sie sah ihn meistens schon neben dem Calafati stehen und schlich sich von hinten an. Er hatte die besagte knielange Trachtenlederhose an, nur wegen ihr. Sie trug das rote Kleid mit den aufgestickten Gänseblümchen, das ihm so gefiel. Sie legte ihm von hinten die Hände über die Augen und lachte. »Noch heute sind mir die Freitage die liebsten Tage. Die ganze Woche war es finster und am Freitag ist es hell geworden. Die ganze Woche war mir schlecht und am Freitag war mir nicht mehr schlecht. Die ganze Woche habe ich kein einziges Mal gelacht, weil es nichts zu lachen gab, und am Freitag habe ich herzhaft gelacht, wirklich wahr, Kreisky, sag ich zu ihm«. Der Rosemarie waren die Freitage auch am liebsten. Am allerliebsten aber waren ihr die ersten Freitage im Monat. Jeder erste Freitag im Monat war nämlich Besuchstag. Die Rosemarie wurde von ihrer Mutter diesem Anlass entsprechend hergerichtet und ausgehfertig gemacht. Dieses Ausgehfertigmachen durch die Mutter ist jedes Mal ein Graus gewesen für die Rosemarie. Ist sie vom Mädchen zur Frau umgestaltet worden von ihr. Zum kleinen Fräulein, wie man so schön sagt. Grüß Gott, mein kleines Fräulein,
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