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Wer liebt mich und wenn nicht warum

Wer liebt mich und wenn nicht warum

Titel: Wer liebt mich und wenn nicht warum
Autoren: Mara Andeck
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daran kann kein Arzt was ändern. Ich setz mich jetzt noch eine Weile hierhin und lasse den Fuß ins Wasser baumeln, dann schwillt der von selbst wieder ab.«
    »Du zitterst ja jetzt schon«, wandte er ein.
    »Das ist gleich vorbei.« Ich setzte mich oberhalb der Leiter auf den Steg, stellte den gesunden Fuß auf die oberste Sprosse und tauchte den schmerzenden ins Wasser. »Du musst nicht hierbleiben, geh ruhig schlafen, ich komme klar.«
    Natürlich blieb er da, obwohl es mir in diesem Moment wirklich lieber gewesen wäre, wenn ich allein hier hätte sitzen können. Mir dämmerte nämlich so langsam, wie viel Ärger ich mir eingehandelt hatte. Mit diesem Fuß würde ich tagelang nicht einsatzfähig sein, die Hochsitze konnte ich vergessen. Meinen Zusammenstoß mit Yksi konnte ich deswegen garantiert auch nicht verbergen. Und zwischen Tom und mir war überhaupt nichts geklärt. Toll!
    »Du zitterst ja immer noch«, stellte Tom fest. Ich schrak aus meinen Gedanken hoch und merkte erst jetzt, wie sehr ich schlotterte.
    »Du bestimmt auch, oder?«, fragte ich leise.
    »Steht in deinem schlauen Buch vielleicht auch drin, was man machen kann, wenn man in der Wildnis friert?« Er rieb sich mit beiden Händen die Schultern warm.
    »Klar. Man stopft sich die Klamotten mit Heu und Blättern aus. Ärmel, Hosenbeine, alles. Dann sieht man zwar aus wie ein Michelinmännchen, aber es wärmt.«
    »Und wenn man keine Ärmel und keine Hosenbeine hat?«, fragte Tom und klapperte mit den Zähnen.
    »Dann kommt es darauf an, ob man allein oder zu mehreren ist. Wenn man allein ist, gräbt man sich ein Loch in den Boden, legt sich hinein und deckt sich mit Blättern zu.«
    »Und wenn man zu zweit ist?«
    »Dann teilt man sich die Körperwärme.« Ich sagte das mit fester Stimme. »Eine alte Survivalregel lautet nämlich: Geteilte Wärme ist doppelte Wärme.«
    »Oookay. Und wie geht das?«
    Uiuiuiui. Er hatte schon wieder okay gesagt! Das machte mich fertig, das trübte mir das Hirn, das machte mich unberechenbar.
    »Beim Survival nennt man das Nesting. Normalmenschen sagen Kuscheln dazu.« Ich grinste im Dunkeln, er konnte mich ja nicht sehen.
    Eine Weile blieb es still.
    »Ooookay«, sagte Tom schließlich. »Entweder wir gehen jetzt rein oder wir probieren das aus. Wenn wir nämlich gar nichts tun, werden wir krank.«
    »Alles klar. Probieren wir’s aus. Wir sind ja Kumpels.« Ich sagte das, als würde ich täglich mit irgendwelchen Kumpels am Strand kuscheln. Und so beschlossen wir, dieses Nesting einfach mal zu testen. Tom setzte sich hinter mich, legte seine Arme um mich und schmiegte sich an meinen Rücken. Und ich lehnte mich an ihn und hörte seinen Atem an meinem Ohr.
    Uff. Da war ganz schön viel Tom um mich herum. Wirklich sehr viel Tom. Er roch gut. Ein bisschen nach Zimt. Und er fühlte sich auch so an, wie er roch, wenn so etwas überhaupt möglich ist. Stopp! Ich zwang mich dazu, den Gedanken, wie Tom sich anfühlte, nicht weiter zu verfolgen.
    »Ist dir jetzt wärmer?«, fragte ich, nur um irgendwas zu sagen. Man kann ja nicht einfach engumschlugen im Dunkeln sitzen und gar nichts reden.
    »Am Bauch schon«, sagte er. »Am Rücken nicht so. Und dir?«
    »Viel besser«, sagte ich leise. »Lehn dich doch an den Rucksack, dann hast du von hinten wenigstens einen Windschutz.«
    »Nee«, sagte er. »Jetzt nicht.«
    Und dann küsste er mich. Hinters Ohr. In den Nacken. Seitlich auf den Hals. Einfach so, ohne mich zu fragen.
    Und ich?
    Ich zog meinen Fuß aus dem Wasser, drehte mich zu ihm um, tastete nach seinem Gesicht und küsste ihn auch. Auf seine Lippen. Keine Ahnung, woher ich den Mut nahm. Mir war nicht mehr kalt und ich glaube, ihm auch nicht.

    Wie lange wir uns da auf dem Steg geküsst haben? Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht mal, ob das ein einziger, langer Kuss war oder ganz viele kurze. Ich weiß nur noch, wie sich das anfühlte, nämlich ungefähr so, als würden wir unter Wassersinken, immer tiefer und tiefer, und als könnten wir trotzdem noch atmen und hätten überhaupt nichts dagegen, für immer zusammen unterzugehen.
    »Du?«, fragte Tom eine Ewigkeit später.
    »Hmm?«, fragte ich.
    »Sollen wir nicht reingehen? In mein Zimmer? Es ist ja doch irgendwie kalt hier.«
    »Hmmm«, brummte ich, um Zeit zu gewinnen. Ich musste erst wieder auftauchen.
    »Ich möchte einfach neben dir einschlafen und neben dir aufwachen«, sagte er leise. »Sonst nichts.«
    Schwupp, schon war ich wieder untergetaucht.
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