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Wer liebt mich und wenn nicht warum

Wer liebt mich und wenn nicht warum

Titel: Wer liebt mich und wenn nicht warum
Autoren: Mara Andeck
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schneller als ich.
    Am Waldrand zögerte ich, ob ich die Lichtung betreten sollte, aber dann erblickte ich dort ein großes, eckiges Gestell aus Stahl mit Rädern. Der Treibewagen! Den hatte ich ganz vergessen und der war die Lösung meines Problems.
    Ein Treibewagen ist so eine Art Rinderkäfig auf vier Rädern, aber ohne Boden. Wir brauchen diesen »Laufstall«, wenn eine Kuh krank ist und die Tierärztin sie behandeln muss. Manlockt oder scheucht das Rind in dieses Mini-Gehege, schließt das Tor und kann sie dort von Nahem betrachten und im Notfall betäuben, um sie zu behandeln.
    Blitzschnell schaltete mein Gehirn: Aus diesem Gestell kam doch normalerweise keine Auerochsenkuh raus. Dann konnte Yksi da jetzt auch nicht hinein, denn das Tor war zu. Aber ich konnte rein, ich konnte ja klettern! Das war die Rettung.
    Ich raste also auf den Treibewagen zu und Yksi donnerte hinter mir her. Noch ein paar Meter. Yksi war dicht hinter mir. Ich konnte ihren Kuhdunst riechen. Oder war das mein eigener?
    In letzter Sekunde hechtete ich mit einem gewaltigen Satz über den Zaun und in die Sicherheit des Treibewagens hinein.
    Leider blieb ich bei diesem Sprung mit dem Fuß an der obersten Umrandung hängen und krachte unsanft auf den Boden. Mir wurde ganz schlecht vor Schmerz. AUAUAUTSCH! Mein Fußgelenk! Gerade erst geheilt. Jetzt wieder futsch. Das tat so weh!
    Wimmernd lag ich da, die Arme über dem Kopf, und wartete auf den Aufprall, wenn Yksi gegen mein fahrbares Gehege donnern würde.
    Aber Yksi war nicht doof. Sie stemmte alle vier Beine in den Boden und bremste gerade noch rechtzeitig ab. Dann schüttelte sie schlecht gelaunt ihren Kopf und trabte ein paar Meter weiter.
    Und dort lag auch das Kalb, im Schatten eines Busches. Es wirkte ganz zufrieden, kein bisschen krank oder verletzt. Was für wunderschöne Augen es hatte! Und was für ein Glück, dass ich nicht über die Wiese zum Hochsitz gerannt war. Yksi hätte all ihre Kräfte mobilisiert, wenn ich direkt auf das Kleine zugerannt wäre. Ich wäre ihr nicht entkommen.
    Jetzt stellte sie sich vor ihr Kälbchen, muhte mich an und plötzlich verstand ich Auerochsensprache. »Eine falsche Bewegung und du bist Schaschlik auf meinem Horn!« sollte das heißen, da war kein Zweifel möglich. Sie umrundete meinen Menschenkäfig und man sah ihr an, wie sie überlegte, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, diesen stinkenden Quälgeist darin mit den Klauen in den Erdboden einzuarbeiten.
    Leider konnte ich nicht ausschließen, dass diese Möglichkeit existierte. Irgendwie kam mir dieser Zaun plötzlich so zerbrechlich vor, und meine Knochen sowieso.
    Der heiße Schmerz in meinem Fußgelenk ließ langsam nach und mein Kopf konnte wieder denken. Da fiel mir eine Studie ein, die Knut neulich erwähnt hatte: Kühe geben mehr Milch, wenn sie klassische Musik hören. Aber sie geben weniger Milch, wenn man ihnen den Song »Herzilein« von den Wildecker Herzbuben vorspielt.

    Hmmm, singen? Einen Versuch wäre das wert. Andere Waffen hatte ich gerade nicht. Aber mehr Milch, das bedeutete vermutlich auch mehr Muttergefühle und davon hatte diese Kuh gerade eindeutig genug. Also bloß keine klassische Musik!
    Weniger Milch, weniger Mama-Instinkt – das konnte vielleicht klappen. Also entschied ich mich für die Herzbuben. Und weil Knut uns das Stück auf unser Bitten und Betteln hin neulich vorgesungen hatte, erinnerte ich mich sogar an den Refrain.
    »Herzilein«, sang ich so laut ich konnte. Die Kuh blieb stehen und sah mich an. »Du musst net traurig sein«, fuhr ich fort. Yksi stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich weiß, du bist nit gern allein«, blökte ich weiter. Yksi wich zurück. »Und schuld war doch nuuuuur der Wein.« Sie wandte sich ab und hoppelte soschnell sie konnte zu ihrem Kalb. Leider hatte ich keine Ahnung, wie der Text weiterging, aber egal, ich wiederholte den Refrain. Wieder. Und wieder. Und noch mal.
    Ich befürchtete, mein Gesang würde bei Yksi vielleicht sämtliche Milch zum Versiegen bringen, und das Kalb könnte verhungern. Ich singe nämlich wirklich nicht gut, um es mal freundlich auszudrücken. Aber so war es nicht. Von meinem umzäunten Platz aus konnte ich beobachten, wie das Kalb sich erhob, das Euter seiner Mutter fand und trank. Ich sang leiser und leiser und schließlich verstummte ich ganz.
    Als das Kalb fertig war, beachtete Yksi mich nicht mehr. Sie legte sich sogar entspannt neben ihr Kälbchen. In mir keimte die Hoffnung auf, diese Nacht
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