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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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und Nancys erstes von vielen, vielen Dates« stand. Darunter waren die Adresse, der Tag, der Monat und das Jahr angegeben. Beim Verlassen des Restaurants wurden sie von den Miet-Paparazzi erwartet, die anfingen, Fotos zu machen, und erzählten, wie George das Wochenende auf den Turks- und Caicosinseln für die liebreizende und zu diesem Zeitpunkt bereits zu Tode erschrockene Nancy abgesagt hatte.
    George hielt solche »romantischen« Tricks für das Vorspiel zu einem glücklichen und zufriedenen gemeinsamen Leben. Nancy und ihresgleichen hielten diese »romantischen« Tricks für ein Vorspiel zu Ballknebeln und Fesseln in einem abgelegenen Lagerraum.
    George war noch nie weiter als bis zum ersten Date gekommen.
    Fester nahm die Sonnenbrille ab. »Du sollst bei dem Job die Führung übernehmen.«
    »Erster Paparazzo«, sagte Ray. »Ich muss meine Mutter anrufen, damit sie in ihrer Mah-Jongg-Gruppe damit angeben kann.«
    Fester gluckste. »Ich liebe dich, das weißt du doch?«
    »Sind wir hier fertig?«
    »Ja.«
    Ray nahm das Objektiv vom Kameragehäuse, packte beides sorgfältig ein und hängte sich die Tasche über die Schulter. Er hinkte zur Tür, nicht wegen der Tritte, sondern aufgrund des Schrapnellsplitters in seiner Hüfte – der Splitter war der Anfang seines Abstiegs gewesen. Aber nein, das war zu einfach. Der Schrapnellsplitter war nur eine Ausrede. Es hatte schließlich einmal eine Zeit in seinem jämmerlichen Leben gegeben, in dem Ray fast unerschöpfliches Potenzial besaß. Er hatte seinen Abschluss an der Columbia University School of Journalism gemacht, wo ihm ein Professor ein »fast übernatürliches Talent« im Bereich Fotojournalismus bescheinigt hatte – das jetzt brachlag. Aber im Endeffekt hatte dieses Leben für ihn nicht funktioniert. Manche Menschen wurden vom Ärger geradezu angezogen. Manche Menschen, ganz egal, wie einfach und gut erkennbar der Weg ist, den sie im Leben beschreiten sollten, fanden immer eine Möglichkeit, alles zu vermasseln.
    Ray Levine war einer dieser Menschen.
    Es war dunkel draußen. Ray überlegte, ob er einfach nach Hause fahren und sich ins Bett legen oder noch in eine Bar gehen sollte, die so schmierig war, dass sie Tetanus hieß. Schwierige Entscheidung, wenn einem so viele Möglichkeiten offenstanden.
    Wieder dachte er an die Leiche.
    Die Visionen ereilten ihn jetzt immer häufiger und unvermittelter. Das war wohl nur zu verständlich. Heute war immerhin das Jubiläum des Tages, an dem das alles zu Ende ging, des Tages, an dem jede Hoffnung auf ein glückliches Weiterleben dahinstarb wie … Na ja, eine logische Metapher würde jetzt auf die Visionen in seinem Kopf Bezug nehmen, oder?
    Er runzelte die Stirn. Hey, Ray, ist das nicht alles ein bisschen übertrieben melodramatisch?
    Er hatte gehofft, dass der alberne heutige Job ihn davon ablenken würde. Das hatte aber nicht funktioniert. Stattdessen musste er nun an seine eigene Bar-Mizwa denken, an den Moment auf der Kanzel, als sein Vater sich zu ihm heruntergebeugt und ihm etwas ins Ohr geflüstert hatte. Er erinnerte sich noch, dass sein Vater nach Old Spice roch, als er seine Hand ganz sanft um Rays Ohr legte und mit Tränen in den Augen sagte: »Ich liebe dich so sehr.«
    Ray schob den Gedanken beiseite. Es tat weniger weh, wenn er an die Leiche dachte.
    Da der Parkservice bei der Ankunft Geld von ihm verlangt hatte – so etwas wie professionelles Entgegenkommen gab es da wohl nicht –, war Ray wieder gefahren und hatte in einer Seitenstraße drei Blocks entfernt einen Parkplatz gefunden. Als er um die Ecke bog, sah er seinen beschissenen, zwölf Jahre alten Honda Civic, bei dem eine Stoßstange fehlte und ein Seitenfenster mit Klebeband befestigt war. Ray rieb sich das Kinn. Unrasiert. Unrasiert, vierzig Jahre alt, Scheißwagen, Kellerwohnung, die, wenn sie ordentlich renoviert werden würde, gerade noch als Drecksloch durchgehen könnte, keine Zukunft, Trinker. Er wäre vor Selbstmitleid vergangen, wenn es ihm nicht so gleichgültig gewesen wäre.
    Ray wollte gerade den Autoschlüssel aus der Tasche ziehen, als er einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf bekam.
    Was zum …?
    Er sank auf ein Knie. Die Welt wurde dunkel. Ein Kribbeln lief über seine Kopfhaut. Er drohte die Orientierung zu verlieren und versuchte, den Kopf zu schütteln, um ihn wieder klar zu bekommen.
    Ein weiterer Schlag landete neben seiner Schläfe.
    Etwas in seinem Kopf explodierte in weißem Licht. Rays Körper sackte lang

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