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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt
Autoren: H Coben
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Mann mit Kreolen-Ohrring und blondierten Strähnen.
    Nach zwei Minuten fand er das Gesuchte. Ein eiskalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als ihm etwas bewusst wurde.
    Der Angreifer hatte es nicht auf die Kamera abgesehen. Er hatte es auf ein Foto abgesehen.
    Auf dieses Foto.

ZWEI
    M egan Pierce lebte den ultimativen Vorstadt-Mutter-Traum – und sie hasste es.
    Sie schloss den Sub-Zero-Designerkühlschrank und betrachtete ihre beiden Kinder durch die Erkerfenster der Frühstücksnische. Die Fenster ließen, wie der Architekt es formuliert hatte, »das unentbehrliche Morgenlicht herein«. Die frisch renovierte Küche war zudem mit einem Viking-Herd, Miele-Geräten und einer Marmor-Kücheninsel ausgestattet, außerdem konnte man von hier durch eine breite Passage ins zum Kinosaal umgestaltete Wohnzimmer gehen, das dank Großbildfernseher, Fernsehsesseln mit Getränkehaltern und genug Lautsprechern auch für ein The-Who- Konzert keine Wünsche offen ließ.
    Hinten im Garten ärgerte Kaylie, ihre fünfzehnjährige Tochter, ihren jüngeren Bruder Jordan. Megan seufzte und öffnete das Fenster. »Lass das, Kaylie.«
    »Ich mach doch gar nichts.«
    »Ich habe hier direkt am Fenster gestanden und euch beobachtet.«
    Kaylie stemmte die Hände in die Hüften. Fünfzehn Jahre – dieser quälende Wendepunkt zwischen der Kindheit und dem Erwachsensein, bei dem Körper und Hormone so richtig in Wallung gerieten. Megan erinnerte sich noch gut daran. »Und was hast du da gesehen?«, fragte Kaylie trotzig.
    »Ich habe gesehen, wie du deinen Bruder geärgert hast.«
    »Du bist da drinnen. Du hast doch gar nichts gehört. Woher willst du denn wissen, ob ich nicht gesagt habe ›Ich hab dich so lieb, Jordan‹.«
    »Hat sie nicht!«, rief Jordan.
    »Ich weiß«, sagte Megan.
    »Sie hat mich einen Loser genannt und behauptet, dass ich keine Freunde habe!«
    Megan seufzte: »Kaylie …«
    »Hab ich nicht!«
    Megan sah sie nur mit gerunzelter Stirn an.
    »Jetzt steht sein Wort gegen meins«, protestierte Kaylie. »Warum bist du immer auf seiner Seite?«
    Jedes Kind, dachte Megan, ist ein gekränkter Anwalt, der nach Schlupflöchern sucht, Beweise nicht so einfach unbesehen gelten lässt und selbst die unbedeutendsten Details noch in Frage stellt.
    »Du hast heute Abend noch Training«, sagte Megan zu Kaylie.
    Kaylies Kopf sank herab, und ihr ganzer Körper erschlaffte. »Muss ich da hin?«
    »Mit dem Beitritt in diese Mannschaft bist du eine Verpflichtung eingegangen, junge Dame.«
    Noch während Megan das sagte – und obwohl sie ähnliche Sätze schon millionenfach gesagt hatte –, fand sie es unglaublich, dass so etwas aus ihrem Mund kam.
    »Aber ich will da nicht hin«, quengelte Kaylie. »Ich bin voll müde. Außerdem will ich doch hinterher noch mit Ginger weggehen, weißt du, weil wir …«
    Wahrscheinlich redete Kaylie noch weiter, doch Megan wandte sich ab. Sie hatte das Interesse verloren. Ihr Mann Dave lag im grauen Sweatshirt im Fernsehzimmer. Er sah sich ein geschmackloses Interview mit einem erst kürzlich in Ungnade gefallenen Filmschauspieler an, der prahlte, mit wie vielen Frauen er im Bett gewesen wäre und dass er sich jahrelang in Striptease-Clubs herumgetrieben habe. Der Schauspieler sprach hektisch und hatte stark geweitete Pupillen, was darauf hindeutete, dass er irgendwas geschluckt hatte, für das man einen Arzt mit sehr locker sitzendem Verschreibungsblock brauchte.
    Auf der Couch schüttelte Dave angewidert den Kopf. »In was für einer Welt leben wir bloß?«, sagte er und deutete auf den Bildschirm. »Der Idiot ist einfach unglaublich. Was für eine Pfeife!«
    Megan nickte und verkniff sich ein Lächeln. Vor Jahren hatte sie diese Pfeife ziemlich gut gekannt. Ihn sogar im biblischen Sinne erkannt. Diese Pfeife war eigentlich ein ziemlich netter Kerl, der gutes Trinkgeld gab, Spaß an flotten Dreiern hatte und wie ein Baby weinte, wenn er zu viel getrunken hatte.
    Das war lange her.
    Dave drehte sich um und lächelte ihr breit zu. »Hey, Babe.«
    »Hey.«
    Dave machte das immer noch: Er lächelte ihr zu, als sähe er sie zum ersten Mal, und sie wusste wieder, dass sie doch eigentlich Glück hatte, dass sie dankbar sein sollte. Das war jetzt Megans Leben. Das alte Leben – das niemand in diesem glücklichen Vorstadt-Wunderland aus Wohnstraßen, guten Schulen und übergroßen Ziegelhäusern kannte – hatte sie um die Ecke gebracht und in einem flachen Graben verscharrt.
    »Soll ich Kaylie zum
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