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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt
Autoren: H Coben
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ein Leben zerstören, um ein anderes zu schaffen? Angeblich sehnen wir uns doch nach dem »vollkommenen Glück« und danach, unsere vielfältigen Talente zur Geltung zu bringen – die tatsächlichen Veränderungen waren jedoch nur reine Kosmetik. In Wirklichkeit versuchen wir mit allen Mitteln, uns anzupassen, uns nur als eine, als die wünschenswerte Person zu definieren.
    Dave schaltete zurück auf den in Ungnade geratenen Filmstar. »Was für eine Type«, sagte Dave kopfschüttelnd. Doch allein der Klang der berühmten, manischen Stimme brachte die Vergangenheit zurück – als er seine Hand um ihren Stringtanga geschlungen hatte und sein unrasiertes, tränennasses Gesicht auf ihren Rücken gepresst hatte.
    »Du bist die Einzige, die mich versteht, Cassie …«
    Ja, sie vermisste dieses Leben. War das wirklich so verwerflich?
    Nein, das fand sie nicht, und das Thema ließ sie nicht los. Hatte sie einen Fehler gemacht? Die Erinnerungen an Cassies Leben – in jener Welt benutzt niemand seinen richtigen Namen – hatte sie all die Jahre lang in einem kleinen, gut verriegelten Hinterstübchen in ihrem Kopf aufbewahrt. Und dann, vor ein paar Tagen, hatte sie die Tür entriegelt und einen winzigen Spaltbreit geöffnet. Sie hatte sie schnell wieder zugeknallt und den Riegel wieder vorgeschoben. Aber dieser Spalt, der es Cassie ermöglicht hatte, einen kurzen Blick auf ihr neues Leben zu werfen – warum war sie so überzeugt, dass das noch Auswirkungen haben würde?
    Dave rollte sich von der Couch und ging mit der Zeitung unterm Arm ins Bad. Megan wärmte den Sandwichmaker vor und suchte das Weißbrot. Als sie die Schublade öffnete, fing das Telefon an zu zirpen. Kaylie stand direkt daneben, beachtete es aber nicht, sondern tippte weiter eine SMS in ihr Handy.
    »Könntest du da mal eben rangehen?«, fragte Megan.
    »Das ist nicht für mich.«
    Ihr eigenes Handy konnte Kaylie in einem Tempo aus der Tasche ziehen, einschalten und sich melden, dass Wyatt Earp angst und bange geworden wäre, aber wenn das Festnetztelefon klingelte und eine der Teenager-Community unbekannte Nummer angezeigt wurde, interessierte sie sich absolut nicht dafür.
    »Geh bitte ran.«
    »Was soll das bringen? Ich muss es dann ja doch nur dir geben.«
    Jordan, der im zarten Alter von elf Jahren noch auf Frieden erpicht war, griff danach. »Hallo?«
    Er hörte einen Moment lang zu und sagte dann: »Sie müssen sich verwählt haben.« Und bei seinen nächsten Worten gefror Megan fast das Blut in den Adern: »Hier wohnt keine Cassie.«
    Mit der kurzen Ausrede, dass die Lieferdienste immer ihren Namen missverstanden – und in dem Wissen, dass ihre Kinder so wunderbar egozentrisch waren, dass es sie sowieso nicht interessierte –, nahm Megan ihrem Sohn das Telefon ab und verschwand damit im Nebenraum.
    Sie hielt es ans Ohr, sagte »Hallo«, und eine Stimme, die sie seit siebzehn Jahren nicht mehr gehört hatte, sagte: »Tut mir leid, dass ich dich anrufen muss, aber ich denke, wir sollten uns treffen.«
    Megan setzte Kaylie beim Fußballtraining ab.
    Dafür, dass der Anruf wie eine Bombe eingeschlagen hatte, war sie ziemlich ruhig und gelassen. Sie stellte den Automatikhebel in die Parkposition und sah ihre Tochter mit feuchten Augen an.
    Kaylie sagte: »Was ist?«
    »Nichts. Bis wann geht das Training?«
    »Weiß ich nicht. Ich geh hinterher vielleicht noch mit Gabi und Chuckie weg.«
    Vielleicht hieß hier auf jeden Fall . »Wohin?«
    Achselzucken. »In die Stadt.«
    Eine perfekte, vage Teenager-Antwort. »Wohin in der Stadt?«
    »Ich weiß nicht, Mom«, sagte sie mit einem Anflug von Verärgerung. Kaylie wollte das möglichst schnell hinter sich bringen, allerdings ohne ihre Mutter zu verärgern und sich womöglich ein Verbot einzuhandeln. »Wir wollen nur ein bisschen abhängen, okay?«
    »Hast du deine Hausaufgaben fertig?«
    In dem Moment, als sie die Frage stellte, hasste Megan sich. Es war so mütterlich. Sie hob die Hand und sagte zu ihrer Tochter: »Vergiss das. Geht einfach. Viel Spaß.«
    Kaylie sah ihre Mutter an, als wäre ihr gerade ein Horn aus der Stirn gewachsen. Dann zuckte sie die Achseln, stieg aus und lief los. Megan sah ihr nach. Wie immer. Es spielte keine Rolle, dass sie alt genug war, um allein aufs Feld zu gehen. Megan musste warten und zusehen, bis klar war, dass ihre Tochter in Sicherheit war.
    Zehn Minuten später hielt Megan auf dem Parkplatz hinter dem Starbucks. Sie sah auf die Uhr. Eine Viertelstunde noch.
    Sie
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