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Wer Boeses saet

Wer Boeses saet

Titel: Wer Boeses saet
Autoren: Olivier Descosse
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drückte den hölzernen Türflügel auf und sprach ohne Pause weiter.
    »Ich komm jetzt rein.«
    In diesem Augenblick knackte es in seinem Ohrhörer.
    »Marchand, hören Sie mich?«
    Gomberts Stimme, angespannt und schroff.
    »Einwandfrei«, flüsterte der Kommissar.
    »Gehen Sie nicht von der Geisel weg. Wir können den gesamten Bereich überblicken.«
    »Verstanden.«
    Er ging weiter. Der Gasgestank war unerträglich. Er bewegte sich durch einen dunklen Flur. Am Ende lag ein billig eingerichtetes Zimmer, das nur von einer einzigen niedrigen Lampe erleuchtet wurde. In der Mitte saß die Geisel, mit Elektrokabeln an den Stuhl gefesselt. Die Lider waren geschlossen, der Brustkorb hob und senkte sich fast unmerklich. Sie atmete.
    Marchand folgte den Anweisungen des Chefs der Elitetruppe. Er stellte sich genau neben die Frau, die Hände erhoben.
    »Georges? Wo sind Sie?«
    »Hier.«
    Die Stimme war von links gekommen. Der Kommissar drehte den Kopf. Vor ihm nichts als tiefschwarze Nacht.
    »Ich bin nicht bewaffnet. Sie haben nichts zu befürchten.«
    Wie ein Gespenst tauchte der Geiselnehmer im Schein der Lampe auf. Das gezeichnete Gesicht eines Endfünfzigers, von der Farbe eines Krebskranken und mit tiefen Schatten unter den Augen. Der Druck, der in den letzten zwei Stunden auf ihm gelastet hatte, tat ein Übriges. Er richtet den Doppellauf eines Gewehrs auf den Kommissar.
    »Haben Sie den Brief?«
    Zeit gewinnen.
    »Geht es Cathie gut?«
    »Geben Sie mir den Brief.«
    Es ging alles zu schnell. Da blieb keine Zeit zum Nachdenken. François improvisierte, blieb dabei aber so nah wie möglich an der Wahrheit.
    »Ich hab ihn nicht bei mir.«
    In Georges’ Augen blitzte Hass auf. Er tat einen Schritt nach vorn und fuchtelte mit der Waffe herum.
    »Du Wichser …«
    Marchand blieb ruhig und sprach mit leiser Stimme.
    »Ich bin auf Ihrer Seite, Georges. Ich will nur vermeiden, dass Sie alles in die Luft sprengen.«
    »Ich habe schon alles verloren. Diese Nutte hat es nicht verdient zu leben.«
    »Wenn Sie schießen, gibt es eine Gasexplosion. Nebenan ist ein Krankenhaus. Wir werden nicht die Zeit haben, es evakuieren zu lassen. Dann werden noch andere Menschen mit dem Tod bezahlen müssen.«
    »Das interessiert mich nicht die Bohne.«
    »Das stimmt nicht. Sie sind kein Mörder.«
    Man konnte seinen Augen ansehen, dass er kurz davor stand aufzugeben. Immerhin war das Gespräch in Gang. Das brachte ihn schon einen Schritt weiter. Jetzt bekamen die Argumente des Polizisten, die bislang wirkungslos verpufft waren, eine größere Wucht.
    Marchand nutzte seinen Vorteil.
    »Denken Sie an Thomas. Wollen Sie, dass er Sie als Mörder in Erinnerung behält?«
    »Er hätte ihr ja nur zu sagen brauchen, dass sie bleiben soll.«
    »Er liebt Sie. Sie sind der Vater, den er sich ausgesucht hat.«
    Der Mann ließ die Schultern hängen.
    »Es ist nicht zu spät«, fuhr Marchand beharrlich fort. »Gemeinsam werdet ihr wieder auf die Beine kommen.«
    Beim Reden bewegte er sich langsam vorwärts. Zwei Meter. Einen Meter. Auf diese Entfernung konnte der Polizist die Schweißtropfen auf der Stirn seines sturköpfigen Gegners erkennen.
    »Vertrauen Sie mir. Ich werde …«
    In seinem Ohr ertönte Gomberts schnarrende Stimme.
    »Treten Sie zurück, Marchand. Wir haben ihn im Visier.«
    François hatte augenblicklich verstanden.
    »Warten Sie!«
    Der schwarze Strich kam aus dem Nichts und zerschmetterte ein Fenster. Er drang in den Hals des Geiselnehmers ein, ging wie durch Butter hindurch und blieb in der Wand stecken.
    Georges fasste sich erschrocken an den Hals. Ein purpurroter Faden rann ihm durch die Finger. Noch bevor François reagieren konnte, brach er zusammen.
    2
    Drei Stunden später eilte François im Sturmschritt durch das schmiedeeiserne Tor der Zentrale der Kriminalpolizei von Nanterre. Das moderne, von Neonlampen beleuchtete Gebäude lag in bleiernem Dämmerschlaf. An dem Abend waren wenige Leute unterwegs, es war wie in einer Bahnhofshalle nach Ankunft des letzten Zuges.
    Der Polizist war hellwach und störte die friedliche Atmosphäre. Die Idioten von der Spezialeinheit zur Bekämpfung des Terrorismus hatten viel zu schnell geschossen, ohne auch nur nachzudenken. Georges war tot. Die ganze Arbeit dieses Nachmittages war vergeblich gewesen. Ein totales Fiasko …
    Er grüßte flüchtig den Wachposten und nahm den Aufzug. Beim Blick in den Spiegel war ihm, als sehe ihm ein Gespenst entgegen. Er trat ganz nah heran, als wolle er sich
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