Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt
Autoren: Deborah Crombie
Vom Netzwerk:
ein so feines Gespür für seine Stimmungen entwickelt, dass es ihm manchmal schon unheimlich war.
    »Natürlich bin ich nicht traurig«, sagte er und ging auf sie zu. Geordie beschnupperte sein Gesicht, als Kincaid sich hinkniete, und hinterließ einen nassen Fleck auf seiner Wange. »Wie könnte ich traurig sein, wenn ich mit dir in den Park gehen kann? Was hast du da gefunden?«, fügte er hinzu. Sie hatte etwas aus dem Laub gefischt, und es war eindeutig nicht Geordies Ball.
    »Eine nackige Frau.« Charlotte hielt ihm ihren Fund hin. Es war tatsächlich eine nackte Frau – eine Barbiepuppe mit etwas schief sitzendem Kopf, das blonde Haar wirr und zerzaust. »Darf ich sie behalten?«, fragte Charlotte.
    »Na ja, warum nicht?«, meinte Kincaid, obwohl ihm durchaus bewusst war, was Gemma von Barbiepuppen hielt. Vielleicht würde diese hier ja nicht zählen. Die Haut der Puppe wirkte in Charlottes Hand unnatürlich rosa, ihr Körper mit seiner bizarren Anatomie fremdartig. Aber Charlotte hatte nun einmal eine sehr fürsorgliche Ader; schon lief sie auf ihren Buggy zu, wo sie die Puppe in ein Stück einer alten Babydecke hüllte, das sie immer für Bob den Elefanten dabeihatte.
    »Sie friert«, erklärte Charlotte, und Kincaid bemerkte plötzlich, dass das Wetter umschlug. Der strahlend blaue Januarhimmel hatte sich eingetrübt, und im Westen sah er eine dunkle Wolkenbank heraufziehen.
    »So, rein mit dir«, sagte er, während er sie wieder in den Buggy hob und nach Geordie pfiff. »Sonst muss deine arme Puppe nicht nur frieren, sondern wird auch noch nass. Nach Hause, James.«
    »Ich heiß doch gar nicht James. Und ich will nicht nach Hause«, protestierte Charlotte. »K und P, K und P«, trällerte sie, als er den Kinderwagen wendete und in Richtung Notting Hill zurückzulaufen begann.
    »K und P, hm?« Er runzelte die Stirn und tat so, als ob er überlegte. »Na ja, ich denke, wir könnten kurz dort vorbeischauen. Vielleicht treffen wir ja MacKenzie und Oliver, was?« Das Kitchen and Pantry , ein Café in der Kensington Park Road, hatte sich an Vormittagen unter der Woche zu einem regelmäßigen Anlaufpunkt entwickelt, wie auch für viele Mütter aus dem Viertel mit kleinen Kindern. Zumindest bot es Charlotte eine Gelegenheit, mit anderen Kindern in Kontakt zu kommen, sagte sich Kincaid, während er seinen Schritt beschleunigte.
    Ganz zu schweigen davon, dass es ihm die Gelegenheit gab, ein wenig Zeit in Gesellschaft von Erwachsenen – und, ja, speziell in weiblicher Gesellschaft – zu verbringen. Er gab sich alle Mühe, die Tatsache zu ignorieren, dass ihm die Kapitulation von Tag zu Tag ein wenig leichter fiel.
    »Wir hätten in Clerkenwell auftreten können.« George blickte von seiner Snare Drum auf, die er gerade spannte. Sein rundes Gesicht war von der Hitze im Pub schon ganz rot, sein Ton genervt.
    »Wie oft sind wir schon in jedem verdammten Pub in North London aufgetreten?«, gab Andy zurück. Er wusste genau, dass er im Unrecht war, und das erklärte seine defensive Haltung. Der Gig, den sie ausgeschlagen hatten, wäre im Slaughtered Lamb gewesen, einer guten Musikkneipe, bekannt als Sprungbrett für hoffnungsvolle junge Bands. »Es wurde mal Zeit, dass wir etwas anderes machen.« Er fand selbst, dass es nicht sehr überzeugend klang.
    Nick hielt den Kopf über die Wirbel seiner Bassgitarre gebeugt und sah keinen der beiden an. »Du meinst, es wurde Zeit, dass du etwas anderes machst«, sagte er. Seine Stimme verriet, wie gekränkt er war.
    In jeder Band neigen die einzelnen Mitglieder dazu, sich ihre jeweils eigene Persönlichkeitsnische zu suchen, und in ihrer war George, seinem fröhlichen, ein wenig pummeligen Äußeren zum Trotz, der Nörgler. Andy hatte die typischen Allüren eines Leadgitarristen. Und Nick, der Leadsänger und Bassist, strahlte die unerschütterliche Gelassenheit der letztgenannten Spezies aus. Wenn Nick wütend wurde, wusste man, dass man zu weit gegangen war.
    »Hört mal, Leute«, begann Andy, doch er musste die Stimme heben, um sich in dem anschwellenden Lärm verständlich zu machen, den die Gäste nach dem Ende der Freitagabend-Happy-Hour veranstalteten. Es war ein gutes Pub, aber die Band war offenbar nebensächlich, sobald es ums Essen und Trinken ging, und außerdem waren sie in einer kleinen Nische am Ende des Tresens eingezwängt. »Tam hat gesagt, dass dieser Produzent kommen würde …«
    »Um dich zu hören«, unterbrach ihn George und warf ihm einen finsteren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher