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Wer Blut vergießt

Wer Blut vergießt

Titel: Wer Blut vergießt
Autoren: Deborah Crombie
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schien sie sich nur noch von Zigaretten und ab und zu einem Teller Pommes frites zu ernähren.
    Pommes. Sein Magen knurrte. »Ruhe da unten«, sagte er laut. Er könnte sich zum Abendessen Toast mit Marmite machen. Und nächste Woche würde er sich ein besseres Versteck für das Geld suchen.
    In den letzten Monaten war er dazu übergegangen, am Samstagabend vor dem Pub auf sie zu warten, wenn sie ihren Lohn ausbezahlt bekam, auch wenn sie ihn dafür ausschimpfte, dass er sich so spät allein im Zentrum herumtrieb. Der Wirt, Mr Jenkins, drückte ihm das Geld direkt in die Hand, begleitet von einem Augenzwinkern und einem herzhaften Klaps auf den Rücken. Mr Jenkins war eigentlich ganz in Ordnung, auch wenn Andy sich sicher war, dass er etwas von dem Geld für die Drinks einbehielt, die seine Mum konsumierte.
    An den Abenden, an denen sie torkelnd nach Hause kam, dachte er lieber nicht viel darüber nach, woher sie das zusätzliche Geld hatte. Und er dachte auch lieber nicht darüber nach, was passieren würde, wenn er nach den Sommerferien wieder in die Schule musste. Er würde nicht zu Hause sein, wenn sie aufwachte, würde nicht dafür sorgen können, dass sie etwas aß, nicht darauf achten, dass sie wenigstens bis zum Beginn ihrer Schicht nüchtern blieb.
    In letzter Zeit schien es mit ihr immer schlimmer zu werden, und wenn sie ihren Job verlor … Er schüttelte den Kopf und weigerte sich schlicht, in diese Richtung auch nur zu denken.
    Irgendetwas würde ihm schon einfallen. Ihm war noch immer etwas eingefallen. Vielleicht könnte er ja irgendeinen Job kriegen; immerhin war er schon dreizehn.
    Er blinzelte wieder, diesmal aber, weil ihm der Schweiß in die Augen rann. Die Sonne war noch nicht hinter den Häusern auf der Westseite der Woodland Road versunken, und es war heiß hier auf der Treppe, aber in ihrer Erdgeschosswohnung war es auch noch stickig.
    Außerdem machte es ihm Spaß, das nachmittägliche Kommen und Gehen auf der Straße zu beobachten. Und einfach die Aussicht zu genießen. Die steile Straße, in der sie wohnten, bot einen schäbigen Anblick; die meisten Häuser waren in schlechtem Zustand, einige standen gar leer. Doch wenn er nach Norden schaute, den Hang hinunter, konnte er eine grüne Fläche durch den Dunst schimmern sehen. Das war London, und er wusste, dass gleich unterhalb seines Blickfeldes die Biegung der Themse lag.
    Wenn er zum oberen Ende der Straße hinaufstieg, konnte er das Herz der großen Stadt sehen, flimmernd wie eine Fata Morgana. Eines Tages würde er dort leben – dort, wo immer etwas los war. Er würde diesem todlangweiligen Crystal Palace den Rücken kehren, und er würde seine Mum mitnehmen. Wenn sie woanders wohnten, würde sie vielleicht noch einmal die Kurve kriegen.
    Aufgemuntert durch diesen Gedanken überlegte er sich die Sache mit dem Marmite-Toast noch einmal. Im Schrank war noch eine Dose Baked Beans – die könnte er sich stattdessen warm machen und sich danach den Schokoriegel genehmigen, den er gebunkert hatte.
    Der Nachmittag zog träge dahin; alles war totenstill, bis auf das Knurren seines Magens. Er hatte gerade beschlossen, dass er das Abendessen nicht länger hinausschieben konnte, als er vom unteren Ende der Straße das Knirschen eines Getriebes hörte. Ein kleines Auto kam den Berg heraufgetuckert. Er erkannte es wieder – es war ein V W , der schon bessere Tage gesehen hatte.
    Als der Wagen vor dem Haus nebenan am Bordstein hielt, erkannte er auch die Fahrerin. Es war ihre neue Nachbarin – eine Witwe, hatte seine Mutter ihm erklärt, obwohl er fand, dass die Frau, die jetzt aus dem Auto stieg, für eine Witwe viel zu jung aussah. Eher wie die große Schwester von irgendwem, mit ihrem geblümten Sommerkleid und den sanft gewellten braunen Haaren.
    Die beiden Häuser waren symmetrisch, und die Haustüren lagen direkt nebeneinander, sodass er die Frau, als sie jetzt die Stufen hinaufging, fast hätte berühren können. Sie war mit einer Einkaufstüte beladen, und er überlegte kurz, sie zu fragen, ob sie Hilfe brauche, doch er war zu schüchtern.
    Dann aber, als sie auf seiner Höhe war, fing sie seinen Blick auf und nickte. Es war ein ernsthaftes Nicken, eine Begrüßung wie unter Erwachsenen. Er erwiderte sie.
    Sie nahm die Einkaufstüte in die andere Hand, um in ihrer Handtasche nach dem Hausschlüssel zu kramen, doch als sie ihn gefunden und ins Schloss gesteckt hatte, hielt sie inne. »Heiß heute, nicht wahr?«, sagte sie.
    Sie sprach diesen
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