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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich
Autoren: Ursula Nuber
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und Aggression, das wir ansammeln«, so Harriet Lerner. Ist dieses Vorratslager überfüllt, muss ein Ventil für all die angestauten Gefühle gefunden werden, die Wut muss sich entladen – und trifft, weil die wichtigen Mitmenschen geschont werden, die Frauen selbst. Die Anschuldigungen und Vorwürfe, die sie gegen sich selbst richten, gelten eigentlich anderen: dem Partner, von dem sie sich im Stich gelassen fühlen; der Freundin, die sie nur anruft, wenn sie was von ihnen will; der alten Mutter, die immer noch bevormundet. Doch die wirklichen Verursacher der Wut bekommen von dieser nichts zu spüren. Sie werden geschont, denn sie sollen durch kein »Fehlverhalten« vergrault oder verärgert werden.
    Die Müllerstochter im Märchen muss um ihr Leben fürchten, wenn sie dem Vater und dem König nicht zu Willen ist. Reale Frauen fürchten um die Zuwendung anderer, wenn sie zu eigenwillig, zu störrisch, zu egoistisch sind. Gelingt es nicht, aus Stroh Gold zu spinnen, droht im Märchen der Tod. Im realen Leben verlieren Frauen oft ihre Lebendigkeit und nicht selten sich selbst. In letzter Konsequenz droht die Depression.
    Dritte Parallele: Die Müllerstochter hat in ihrer Not keinen Ansprechpartner. Ihre Tränen sieht – außer dem Männchen – niemand: Weder der Vater noch der König bekommen mit, welche Not | 27 | die junge Frau leidet. Und weit und breit ist kein tröstendes, verständnisvolles Wesen zu sehen.
    Nicht selten erleben Frauen in ihrem Alltag ähnliche Situationen. Erschöpft und überlastet bräuchten sie dringend eine Schulter zum Anlehnen, ein liebevolles Wort und emotionale Unterstützung. Doch dort, wo sie dies in der Regel suchen, in ihrem nahen Umfeld, finden sie es nicht – jedenfalls nicht so, wie sie es sich wünschen. Weil sie regelmäßig in ihrem Wunsch nach Nähe enttäuscht werden, ziehen sie sich zurück und unterdrücken ihre Gefühle, um weiter funktionieren zu können. Sie versuchen, sich nichts anmerken zu lassen – und merken deshalb lange selbst nicht, wie es wirklich um sie steht.
    Eigentlich führen Britta und Gerd eine glückliche Ehe. Sie sagt, er sei ihr Traummann, und auch er hat in ihr seine Traumfrau gefunden, wie er ihr – auf Anfrage – gerne bestätigt. Dennoch fühlt sie sich oftmals ungeliebt und völlig allein gelassen. Wenn es ihr nicht gut geht, wenn sie die Nähe und das Gespräch mit ihrem Mann sucht, dann stößt sie meist auf Unverständnis. Was sie denn habe, es gehe ihr doch gut. Er wirft ihr vor, sie sei zu bedürftig und zu klammernd. Sie glaubt ihm und denkt, dass mit ihr etwas nicht in Ordnung ist. Sie kann ja selbst nicht verstehen, warum sie so viel Nähe braucht.
    Weil Beziehungen für Frauen existenziell wichtig sind, riskieren sie nichts, was diese infrage stellen könnte. Gelingt ihnen aber trotz größter Bemühungen und Rücksichtnahme auf den oder die anderen nicht, was sie sich so sehnlich wünschen – liebevolle Unterstützung, emotionale Nähe –, geben sie sich selbst die Schuld. Sie müssen etwas falsch machen, wenn ihre Partnerschaft nicht glücklich, wenn der Ehemann mürrisch und abweisend ist und die Kinder schwierig sind. Sie verurteilen sich als inkompetent und wertlos, grübeln über ihr Versagen und fühlen sich unendlich allein. | 28 |
    Depressive Frauen nehmen sich selbst automatisch in die Verantwortung und suchen die Schuld bei sich, wenn sich ihre Hoffnungen nicht erfüllen. Den Betroffenen gelingt es meist nicht, für Veränderungen zu ihren Gunsten zu sorgen oder sich gar aus für sie unbefriedigenden Beziehungen zu lösen. Wie die Müllerstochter, die sich nicht aus der für sie gefährlichen Situation befreien konnte, verharren auch depressive Frauen oftmals in Situationen, die für sie alles andere als gesund sind. Sie werden zu Gefangenen unbefriedigender Situationen, weil sie nicht erkennen, wie sehr ihre Ängste vor Ablehnung und Zurückweisung zu Fesseln werden, die ein positives Handeln in eigener Sache unmöglich machen.
    Vierte Parallele: Die Hochzeit der Müllerstochter mit dem König ist nur scheinbar ein Happy End. Das Mädchen hat zwar alles getan, was ihr möglich war, doch ihre Hoffnung, sich damit ein Leben in Ruhe und Geborgenheit gesichert zu haben, erfüllt sich nicht. Die Müllerstochter unterschätzt die Gefahr des Männchens: Sie erkennt nicht die Bedrohung, die von ihm ausgeht, sie hofft, dass der Kelch an ihr vorübergehen wird und sie die Erpressung aussitzen kann. Doch dann taucht das
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