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Wer bin ich ohne dich

Wer bin ich ohne dich

Titel: Wer bin ich ohne dich
Autoren: Ursula Nuber
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von ihr unterstützt. Und dann ist da noch ein vielbeschäftigter Ehemann, der gerne sagt, dass hinter jedem starken Mann eine starke Frau steht. Es stimmt: Wann immer er sie braucht, ist Ellen für ihn da. Doch im umgekehrten Fall, wenn sie sich ein offenes Ohr oder eine Schulter zum Anlehnen wünscht, zeigt er wenig Interesse. Ihr Mann braucht Ruhe, wenn er von seiner Arbeit nach Hause kommt. Sie aber möchte mit ihm reden, möchte erfahren, wie es ihm geht, sie will ihm erzählen von sich, von den Kindern, von Freunden, sie will reden über ihren Tag, ihre Sorgen, über ihrer beider Beziehung – aber auf diesem Ohr ist er taub. Beziehungsgespräche hasst er. Auch über sich will er nicht sprechen. Fragt sie ihn »Wie war dein Tag?«, bekommt sie ein knappes »Gut« zur Antwort. Hakt sie dann nach und will wissen, wie das Projekt, das er betreut, so läuft, wird sie ebenso einsilbig abgespeist: »Bestens«. Und auf die ganz allgemeine Frage »Wie geht es dir? Wie fühlst du dich?« kommt eine Gegenfrage: »Was meinst du damit?«
    Ellen will emotionale Nähe, doch nur selten gelingt es ihr, die gefühlte Distanz zu ihrem Mann zu verringern. Manchmal ist ihr zum Schreien zumute. Dann würde sie ihn am liebsten schütteln, ihm sagen, dass sie so nicht weiter kann, dass er sich nun endlich mal um sie kümmern soll. Aber natürlich tut sie das nicht. Auf keinen Fall will sie die Kontrolle verlieren und ihre Gefühle zu sehr zeigen. Denn dann wäre sie ja noch verletzlicher.
    Seit etwa einem Jahr leidet Ellen unter starken Rückenschmerzen. Alle dagegen unternommenen Maßnahmen waren bislang erfolglos.
    Die Müllerstochter im Märchen würde durch Widerstand und Auflehnung ihr Leben verlieren. Wenn moderne Frauen sagen: »Ich soll Stroh zu Gold spinnen? Ich kann und will das nicht!« – was verlieren sie dann? Zwar droht ihnen nicht der Tod, wenn sie | 25 | Anforderungen nicht erfüllen, aber doch etwas ähnlich Erschreckendes: Liebesentzug. Wohl jede Frau kennt die Befürchtung, dass sie durch unangepasstes, aufbegehrendes, kritisierendes Verhalten die Zuneigung, die Anerkennung, die Liebe anderer Menschen verlieren könnte – und das kommt für manche Frauen dem Tod nahe. Vor allem wenn für sie »eine Beziehung wichtiger als ein Ich« ist, wie die amerikanische Psychologin Harriet Lerner meint. Ist die Angst vor Zurückweisung zu groß, stellt eine Frau lieber keine Ansprüche, die andere möglicherweise verärgern könnten. Lieber gibt sie nach, lenkt »um des lieben Friedens willen« ein oder schluckt eine kritische Bemerkung hinunter, weil die Angelegenheit nun so wichtig auch wieder nicht ist. Sie fürchtet, dem Konflikt, der entstehen könnte, nicht gewachsen zu sein. Sie glaubt, dass sie es nicht aushält, wenn andere, ihr nahe stehende Menschen sich von ihr abwenden, sie mit Schweigen bestrafen oder schlecht von ihr denken. Denn wer ist sie denn ohne den oder die anderen, die so wichtig für sie sind? Wie soll sie es aushalten, wenn sich eine wertvolle Person enttäuscht von ihr abwendet?
    Vor allem in ihren Partnerschaften und in ihren Beziehungen zu Freunden und engen Familienmitgliedern haben Frauen häufig Angst, dass sie so, wie sie wirklich sind, nicht auf Akzeptanz stoßen – und bemühen sich deshalb, anderen zu gefallen, sie nicht zu verärgern, sie nicht zu enttäuschen. Die Frage »Wer bin ich ohne dich?« steckt – meist unbewusst – hinter dem Bemühen vieler Frauen, perfekt zu sein, alles richtig zu machen, möglichst »Ja« und nicht »Nein« zu sagen, nett zu sein, nicht negativ aufzufallen, am besten überhaupt nicht aufzufallen. Um die Anerkennung anderer nicht zu verlieren, dürfen sie es auf keinen Fall riskieren, diese zu verärgern. Gefühle wie Aggression, Wut, Enttäuschung sind »gefährlich« und müssen zurückgehalten, ja, dürfen gar nicht erst gespürt werden. Frauen verleugnen oft ihre | 26 | wahren Gedanken und Empfindungen, weil sie glauben, dass diese bei anderen nicht gut ankommen. Lieber präsentieren sie ihrer Umwelt ein »falsches Selbst«, als das Risiko einzugehen, mit ihrem »wahren Selbst«, abgelehnt zu werden.
    Doch dafür bezahlen sie auf Dauer einen hohen Preis. Wenn eine Frau sich bemüht, dass kein Konflikt ihre Beziehungswelt in Unordnung bringt, wird sie ihre eigenen Gefühle, ihre Gedanken, ihre Bedürfnisse mit der Zeit immer weniger wahrnehmen und ausdrücken können. »Je ›netter‹ wir sind, desto größer wird das Vorratslager an unbewusster Wut
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