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Wenn Wir Tiere Waeren

Titel: Wenn Wir Tiere Waeren
Autoren: Wilhelm Genazino
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unhöflich gewesen. In einem Café unweit des Friedhofs musste ich Karins Bruder kennenlernen, außerdem ihre Mutter (der Vater war schon tot) und einen früheren Freund. Das Café war überfüllt. Man kann hingehen, wo man will, es sind immer schon zwei Dutzend andere da, sagte ich.
    Karin lachte und sagte: Was soll man denn machen?
    Ich gehe einfach nirgendwo mehr hin, antwortete ich.
    Dann wirst du vereinsamen, sagte Karin.
    Ich würde mir einzelne Individuen suchen, mit denen ich mich an versteckten Orten verabreden würde, sagte ich.
    Kennst du solche Individuen? fragte Karin.
    Dich zum Beispiel, sagte ich.
    Karin schaute mich an und war, wenn ich mich nicht täuschte, verblüfft über meine Forschheit. Unser Flirt wurde unterbrochen, weil Erlenbach sich neben mich setzte, mit Grund, wie sich herausstellte. Ich fand seine Aufdringlichkeit peinlich, andererseits kam sie meinen Interessen entgegen. Mit dem Tod von Michael Autz war mein Kontaktmann zum Architektenbüro Erlenbach & Wächter verschwunden. Es konnte mir nützen, wenn ich bei Erlenbach ein wenig antichambrieren würde. Rasch zeigte sich, dass meine Bemühungen überflüssig waren. Erlenbach sagte, er wolle mich in die Planung einer Tiefgarage mit einbinden, die ich zusammen mit zwei Kollegen entwickeln sollte. Ich war erfreut und dankbar und hörte Erlenbach zu. Karin ödete sich ein wenig und zeigte es. Erlenbach schreckte nicht davor zurück, am Tag der Beerdigung ihres Mannesan ihrem Tisch geschäftliche Dinge zu besprechen. Ich war nicht jemand, der Erlenbach auf seine mangelnde Pietät hinwies. Eigentlich hatte Karin seit dem Tod ihres Mannes keinen Grund mehr, auf Erlenbach Rücksicht zu nehmen. Ich schloss nicht aus, dass sie ihre eigene Trauerversammlung bald verlassen würde. Aber sie schluckte die Kränkung und blieb, jedenfalls vorerst. Auch mich verlangte es nicht, allzu lange hier zu bleiben. Allerdings wusste ich nicht, wie ich den Restnachmittag verbringen sollte.
    Erst am Frühabend war ich mit Maria verabredet. Sie hatte herausgefunden, dass man neuerdings im Tiefgeschoss bei Hertie Austern essen konnte. Ich war an Austern nicht interessiert, aber ich wollte Maria den Spaß nicht verderben. Zwischendurch erkundigte sich Karin, ob ich mir Michaels Taschenbücher nicht einmal anschauen wollte. Ich war überrascht. Es stimmte, ich hatte bei Besuchen bewundernde Blicke auf Michaels Taschenbücher geworfen. Ja, gerne, sagte ich, gelegentlich. Die Trauergesellschaft löste sich langsam auf. Ich fand nicht den Mut, aufzustehen und mich zu verabschieden. Nach Hause gehen und mich an das Zeichenbrett setzen war auch kein toller Einfall, obwohl ich dringend arbeiten musste. Ich hätte mir auch endlich Zeichnungen von Munch ansehen können, die es im Kunsthaus zu sehen gab. Statt dessen blieb ich sitzen, trank noch ein Glas Wein und plauderte mehr mit Erlenbach als mit Karin. Je mehr ich trank, desto mehr hatte ich mit der Idee zu kämpfen, ich sei mitschuldig an Michaels Tod. Das war eine abstruse Idee, die sich in meinem Inneren plausibel anfühlte. Ich überlegte schon, ob ich Karin diese Eingebung mitteilen sollte. Aber dann erhob ich mich doch und reichte Karin die Hand. Sie lud mich zu ihrem Geburtstagsfest ein, das in etwa einemMonat stattfand. Ich beugte mich über sie und küsste ihr die linke Wange. Von den anderen Trauergästen verabschiedete ich mich nicht persönlich. Ich hob die Hand und winkte ein paarmal in den Raum.
    Dann war ich draußen. Es setzte sich, wie oft in solchen Fällen, der Dreizehnjährige in mir durch und stiefelte in die Innenstadt. Die frische schlechte Luft des Autoverkehrs war genau das richtige für mich. An einem Kiosk kaufte ich mir eine kleine Flasche Mineralwasser, die ich rasch leertrank. Die Überzeugtheit, das Umhergehen sei eine richtige Entscheidung gewesen, ließ bald nach. Jetzt kam der wirkliche Dreizehnjährige zum Vorschein: Ich fühlte mich verlassen und ödete mich. Ein Zoo-Besuch schied aus, ebenso das Kino; an beiden Orten häufte sich lediglich das Elend nicht vertriebener Zeit. Ich ging weiter zum Flussufer. Dort setzte ich mich auf den Rasen, schaute auf das Wasser und merkte, wie müde ich war. Mir gefielen ein paar weiß und dreieckig aufgerichtete Segel, die weich und nur leicht aufgebläht umherschwebten. Das sanfte Bild der Segel schläferte mich ein. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen einen Baumstamm und fühlte kaum, wie mich der Schlaf überwältigte. In meinem schlafgetrübten
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