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Wenn nur noch Asche bleibt

Wenn nur noch Asche bleibt

Titel: Wenn nur noch Asche bleibt
Autoren: Britta Strauss
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Köpfe der Gestalten aussahen wie in der Dunkelheit schwebende Luftballons. Müssten sie nicht singen oder Beschwörungen murmeln? Müssten sie nicht Kutten tragen wie in diesen idiotischen Filmen?
    Zwei Menschen traten vor und hielten etwas Leuchtendes in den Händen. Wunderschöne, etwa armlange Kristalle, die wie von Zauberhand zwischen den zu Kelchen zusammengelegten Händen zu schweben schienen. Ihr Glanz glich dem Licht, in das sie zuvor eingetaucht war. Er war rein und vollkommen, wie der Halo einer uralten Macht, die warm und sanft, doch grenzenlos war.
    Ein grauhaariger, hochgewachsener Mann kam auf sie zu, tauchte seine in weiches Leder gehüllten Finger in eine Schale und begann, Marys Oberkörper zu bemalen. Die zarten, gleitenden Berührungen weckten ihre Lust. Der Wunsch, diese Hand möge tiefer wandern, wurde noch brennender, als der Mann sich vorbeugte und ihre Stirn küsste. Sanft waren die Lippen, wie ein Vogelflügel. Sanft waren auch seine grauen Augen und das väterliche Gesicht. Schließlich hob der Fremde eine Strähne ihres Haares und drehte sie zwischen den Fingern. Im Licht der Kristalle wirkte das flammende Rot wie geronnenes Blut.
    Wellen rauschten, spielten klackernd mit den Kieseln und schäumten über scharfkantige Felsen. Eine Bucht. Kam sie ihr nicht bekannt vor? War sie nicht hier schon einmal gewesen oder erschuf der Traum gänzlich unbekannte Szenerien?
    Das Licht der Kristalle wurde intensiver. Schimmernde Finger lösten sich aus ihrem pulsierenden Herz und krochen durch die Nacht, berührten die schwarzen Silhouetten der Wartenden und glitten wie lebendige Schlangen auf sie zu. Eine gewaltige, kosmische Energie schien sie zu berühren. Der Fremde wich zurück, und dann erklangen Worte, die Mary zuerst nicht verstand. Doch als die Stimmen mit jeder Wiederholung des Verses lauter wurden, fanden sie einen Weg in ihre vom Traum verschleierte Wahrnehmung:
    „Phönix
.
    Rein und erhaben
.
    Neu geboren aus Salz und Asche
.
    Nimm unsere Seelen
    und befreie uns
,
    so wie wir dich befreien
.
    Mit Salz und Asche.“
    Mary fürchtete sich nicht. Sie fürchtete sich nicht einmal, als die glimmenden Finger aus Licht das Holz berührten und es in Brand steckten. Sie träumte, und wenn sie erwachte, würde sie den warmen Körper ihres Mannes neben sich spüren. Seine schützende Umarmung, seine Lippen, seine samtweiche Stimme. Sie würden lachen über die seltsamen Dinge, die sie träumte.
    Plötzlich brach der Schmerz auf. Lodernd, gleißend und unerträglich. Flammen leckten an ihren Beinen. Haut schmolz und brodelte. Kein Traum! Oh Gott, es war kein Traum. Sie empfand niemals Schmerzen, wenn sie schlief. Mary schrie, doch kein Ton kam über ihre Lippen. Wie tot hing ihr Körper über den fauchenden, rotgoldenen Zungen, und sie spürte das Lächeln auf ihren Lippen, als wäre es festgefroren.
    Kein Traum!
    Alle Wirklichkeit ging unter in unerträglicher Qual. Grelles Licht umhüllte sie, bar jeder Schönheit. Nicht tröstend, sondern fressend und zerstörend, es saugte an ihrer Seele wie ein gieriges Monstrum. Sie roch ihr verbranntes Fleisch. Mein Gott, sie würde ihren Mann nie wiedersehen. Er würde nie erfahren, was mit ihr geschehen war. Und plötzlich kam die Stille. Mary schwebte über ihrem Körper. Sie sah den nächtlichen Strand, das Meer und den Treibholzstamm, an dem sie gefesselt war. Sie sah die Menschenmenge und die Finger aus Licht, die über den Sand krochen wie Schlangen. Die Haut ihrer verlassenen Hülle brodelte und kochte, doch aus ihr strömte ein wunderbares Licht. Der Mann mit den grauen Haaren sog es in sich auf. Er trank es mit ausgebreiteten Armen und in den Nacken geworfenem Kopf, und Mary fragte sich, ob es ihre Seele war, die er in sich aufnahm. Plötzlich spürte sie den Sog. Unerbittlich zog er sie in die Tiefe, zu dem Mann, der sich von ihr nährte.
    Es gab nichts, das sie dagegen tun konnte. Sie fühlte sich ein hilfloses Blatt, das in einer wilden Strömung trieb, die sie zu einem Strudel trug. Dieses Monster würde ihre Seele fressen. Kein Tod konnte schlimmer sein.
    Ein stummer, körperloser Schrei verhallte im Nichts. Ungehört. Verschluckt von einer Dunkelheit, die nie enden würde.
    Portland Police Department, 2. Mai 2005
    „W
ie sicher bist du?“ Daniel Natali wurde ungeduldig. Die Art, wie Rebecca minutenlang über der Lupe hing und nichts tat, außer mit Augenbrauen und Mundwinkeln zu zucken, machte ihn verrückt. „Raus mit der
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