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Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers

Titel: Wenn moeglich bitte wenden - Abenteuer eines Autofahrers
Autoren: Lutz Schumacher
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errungen
zu haben. Jedenfalls schauten die Beamten etwas belämmert. Aber dann räusperte sich der traurig Dreinblickende und meinte: »Es ist Ihnen doch hoffentlich bekannt, dass es sich bei den Geschwindigkeitsschildern um zulässige Höchstgeschwindigkeiten handelt. Niemand zwingt Sie, dort 120 zu fahren.« Harald blickte zu der Radarfalle. Da kam ihm eine Idee: »Sie sagen also, dass Sie den Abstand auf drei Meter verkürzen dürfen, ja?« Die Polizisten nickten. »Das Gerät dort steht aber keine drei Meter von dem 60er-Schild entfernt!« »Meinen Sie?«, zischte der zweite Uniformierte. »Na, das werden wir ja sehen.« Er stapfte zu dem Messgerät, zückte ein Maßband und drückte es Harald in die Hand. »Wenn Sie hier bitte mal festhalten wollen!« Sprachlos nahm Harald zur Kenntnis, dass die beiden offenbar auf alles vorbereitet waren. Es wunderte ihn nun auch gar nicht, dass dieses Maßband tatsächlich drei Meter lang war, obwohl doch jedes Standardmaßband nur zwei Meter misst. Auch wunderte ihn nicht, dass der Beamte zwischen der Radarfalle und dem Schild 2,99 Meter maß. Harald hatte verloren, aber er wollte es noch nicht einsehen. »Das Maßband ist manipuliert«, sagte er.
    »Wohl kaum«, antwortete der Tränengesichtige und hielt Harald ein Papier unter die Nase. »Eichamt Landshut« stand auf dem Dokument, mehrere Siegel und Unterschriften bestätigten, dass das polizeiliche Maßband mit der Ordnungsnummer 67-AG 3456 einen Monat zuvor vorschriftsgemäß nach dem bayerischen Eichgesetz überprüft worden war.
    Eine Viertelstunde später verließ Harald die Waldschneise. Er war erneut 120 Euro ärmer, dafür aber um einige Erfahrungen reicher. Unter anderem hatte er soeben beschlossen,
nie wieder über eine Landstraße zu fahren, selbst wenn sich auf der Autobahn der Verkehr auf 50 Kilometern stauen würde. Hilfesuchend blickte er sich um, doch war hier in der Einöde nirgendwo ein blaues Autobahnschild zu sehen. Er würde das durchstehen müssen. Harald fuhr jetzt irgendeine Geschwindigkeit im Niemandsland desTachos, das ungefähr zwischen 60 und 80 Stundenkilometern angesiedelt war. Düstere Vorahnungen plagten ihn. Die Route der Sicherheit war definitiv eine Straße ohneWiederkehr, ein Pfad der Verdammten, eine Reise ins Nichts... Harald sah auf und bremste panisch, weil das Ortsschild von »Hinterföhring, Gemeinde Föhring« bereits zu sehen war. Wer wusste schon, ob die neue bayerische Verkehrsüberwachungsverordnung nicht auch Regeln über unsichtbare Geschwindigkeitsbegrenzungen im Vorfeld von Ortseingängen enthielt.
    Man konnte niemandem mehr trauen.
    Das Erste, was Harald von Hinterföhring sah, war ein riesiges Poster, das an einem mindestens 20 Meter hohen Holzgerüst befestigt war. Es zeigte auf erschreckende Weise verklumpte Metallteile, die offenbar früher einmal ein oder mehrere Autos gewesen waren. Aus dem Wrack floss eine Flüssigkeit, von der man nicht klar sagen konnte, ob es Benzin oder Blut war. Harald stöhnte auf. Über dem dampfendenWrack stand in riesigen Lettern »Denk nach!«. Damit es genau dazu aber nicht kommen konnte, waren direkt hinter dem Ortseingangsschild in enger Folge Plakate aufgestellt, die Wahlwerbung ähnelten, aber Botschaften enthielten wie »Er wollte nur schnell mal Zigaretten holen...« oder »Seine drei Waisenkinder freuen sich, dass er der Schnellste war...«. Weil aber diese brachiale Form der
Anti-Unfallkampagne den Hinterföhringern offenbar nicht ausreichte, waren die schlauen Sprüche mit ekelerregenden Bildern von Leichenteilen und toten Tieren geschmückt. Harald schauderte. Das war ja widerlich. Gerade zog eine Mutter ihr weinendes Kind von einem solchen Plakat weg hinein in einen Hauseingang. Harald schüttelte beklommen den Kopf. Das Mädchen würde heute Nacht bestimmt Alpträume bekommen, und wenn nicht von den Plakaten, dann von den lebensgroßen Skulpturen, mit denen ein Künstler einen ebenso blutigen Verkehrsunfall auf dem kleinen gemütlichen Marktplatz der Gemeinde nachgestellt hatte. Harald sah einige ratlose ältere Menschen kopfschüttelnd vor den offenbar noch taufrischen Plastiken stehen. Nach weiteren gut gemeinten Ratschlägen wie »Kinder haben keine Bremse« und »Ist Weißbier wirklich ein Leben wert?« hörte der Spuk glücklicherweise auf, weil die Ortschaft zu Ende war. Ein Wegweiser zeigte an, dass der andere Gemeindeteil mit dem Namen Vorderföhring neun Kilometer entfernt lag. Harald bemerkte, dass er den Ort vor
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