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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe
Autoren: Gayle Forman
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Türen ab und schleuderte den Beifahrersitz durch die Fensterscheibe auf der Fahrerseite. Er schnipste das Fahrgestell in die Höhe, ließ es über die Straße hüpfen und riss den Motor auseinander, als wäre er nur aus Spinnweben gemacht. Er schleuderte Räder und Radkappen bis weit in den Wald hinein. Er entzündete die Reste des Tankinhalts, sodass winzige Flammen über die nasse Straße leckten.
    Und dann der Lärm. Eine Symphonie aus Knirschen, ein Chor aus Platzen, eine Arie aus Explosion und schließlich das traurige Klatschen von hartem Metall gegen weiche Baumstämme. Dann wurde es still. Bis auf eins: Beethovens Cellosonate Nummer drei, die immer noch spielt. Das Autoradio hängt tatsächlich noch an der Batterie, und so kann sich Beethoven in dem nun wieder friedlichen Februarmorgen ausbreiten.

    Zunächst denke ich, dass alles in Ordnung ist. Schließlich kann ich immer noch Beethoven hören. Und außerdem stehe ich hier in einem Graben neben der Straße. Als ich an mir herabschaue, sehen der Jeansrock, die Sweatjacke und die schwarzen Stiefel, die ich heute Morgen angezogen habe, noch genauso aus wie vorher.
    Ich klettere die Böschung hinauf, um einen besseren Blick auf den Wagen zu haben. Es ist nicht einmal mehr ein Wagen. Es ist ein Skelett aus Metall, ohne Sitze, ohne Fahrgäste. Was bedeutet, dass auch der Rest meiner Familie wie ich aus dem Auto geschleudert wurde. Ich wische mir die Hände am Rock ab und gehe die Straße entlang, um nach ihnen zu suchen.
    Meinen Vater sehe ich als Erstes. Selbst aus einigen Metern Entfernung kann ich die Wölbung in seiner Jacke sehen, wo die Pfeife in der Innentasche steckt. »Dad!«, rufe ich, aber als ich auf ihn zugehe, wird der Boden unter meinen Füßen glitschig, und ich sehe graue Klumpen herumliegen, die mich an Blumenkohl erinnern. Ich weiß genau, was ich da sehe, aber aus irgendeinem Grund bringe ich es nicht gleich mit meinem Vater in Verbindung. Was mir in den Sinn kommt, sind Meldungen über Tornados oder Feuersbrünste, die ein Haus dem Erdboden gleichmachen und das Gebäude nebenan unversehrt lassen. Das Gehirn meines Vaters liegt auf dem Asphalt verstreut. Aber die Pfeife steckt noch in seiner Jackentasche.

    Als Nächstes finde ich meine Mutter. Es ist fast kein Blut zu sehen, aber ihre Lippen sind schon ganz blau, und das Weiße ihrer Augen ist dunkelrot, wie bei einem Untoten aus einem billigen Monsterfilm. Sie wirkt völlig unwirklich. Und ihr Anblick, wie sie da wie ein grotesker Zombie liegt, lässt in meinem Inneren die Panik hochkochen.
    Ich muss Teddy finden! Wo ist er? Ich wirbele herum, hektisch, hysterisch, wie damals, als ich ihn zehn Minuten lang in einem Supermarkt gesucht habe. Ich war überzeugt davon, dass man ihn entführt hatte. Natürlich war er nur in den Gang mit den Süßigkeiten entwischt. Als ich ihn fand, wusste ich nicht, ob ich ihn an mich drücken oder ihn anschreien sollte.
    Ich renne zurück zu dem Graben, wo ich herkam, und sehe eine Hand in die Höhe ragen. »Teddy! Ich bin hier!«, rief ich. »Gib mir deine Hand. Ich ziehe dich raus.« Aber als ich näher komme, sehe ich das metallische Schimmern des silbernen Armbands und das winzige Cello und die Gitarre, die daran hängen. Adam hat mir das Armband zu meinem siebzehnten Geburtstag geschenkt. Es ist mein Armband. Ich trug es heute Morgen. Ich schaue auf mein Handgelenk. Ich trage es immer noch.
    Langsam trete ich näher, und jetzt weiß ich, dass nicht Teddy dort liegt. Ich bin es. Das Blut aus meiner Brust hat das T-Shirt durchweicht, den Rock und die Jacke, und jetzt ergießt es sich in Rinnsalen auf den
jungfräulichen Schnee, wie rote Farbe. Eins meiner Beine liegt verdreht da, Haut und Muskeln sind weggeschält, sodass ich den weißen Knochen darunter sehen kann. Meine Augen sind geschlossen, und mein dunkelbraunes Haar ist nass und rostig vor Blut.
    Mit einem Ruck wende ich mich ab. Das ist nicht richtig. Das kann nicht sein. Wir sind eine Familie, die einen Ausflug macht. Das ist nicht wirklich. Ich muss im Auto eingeschlafen sein. Nein! Aufhören. Bitte aufhören. Bitte wach auf! , schreie ich in die kalte Luft. Es ist wirklich kalt. Mein Atem sollte in kleinen Dampfwölkchen vor meinem Mund stehen. Er tut es nicht. Ich starre auf mein Handgelenk, das unverletzt aussieht, unberührt von Blut und Knorpel, und ich zwicke mich, so fest ich kann.
    Ich spüre rein gar nichts.
    Ich hatte schon früher Albträume – Albträume, in denen ich falle, in denen
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