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Wenn Ich Bleibe

Titel: Wenn Ich Bleibe
Autoren: Gayle Forman
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ich vor Publikum auftrete, ohne zu wissen, was ich spielen muss, in denen ich mit Adam Schluss mache – aber ich konnte mich immer zwingen aufzuwachen, meinen Kopf vom Kissen zu erheben und den Horrorstreifen, der sich hinter meinen geschlossenen Augenlidern abspielte, anzuhalten, indem ich meine Augen öffnete. Ich versuche es noch einmal. Wach auf! , schreie ich. Wach auf! Wachaufwachaufwachauf! Aber ich kann es nicht. Es geht nicht.
    Dann höre ich etwas. Es ist die Musik. Ich kann immer noch die Musik hören. Und so konzentriere ich
mich darauf. Mit den Fingern finde ich die Noten von Beethovens Cellosonate Nummer drei, spiele sie auf einem unsichtbaren Cello, wie so oft, wenn ich mir Aufnahmen von Stücken anhöre, an denen ich gerade arbeite. Adam nennt das »Luftcello«. Er will mich immer dazu überreden, einmal mit ihm ein Duett zu spielen, er auf der Luftgitarre und ich auf dem Luftcello. »Wenn wir fertig sind, können wir unsere Luftinstrumente zerschlagen«, grinst er dann. »Das würde dir bestimmt Spaß machen.«
    Ich spiele, lenke meine ganze Aufmerksamkeit nur auf die Melodie, bis das letzte bisschen Leben im Wagen erstirbt, und damit auch die Musik.
    Es dauert nicht mehr lang, bis die Sirenen kommen.

9.23 Uhr
    Bin ich tot?
    Ich muss mir diese Frage stellen.
    Bin ich tot?
    Zuerst scheint es mir die logischste Erklärung zu sein. Ich denke, dass die Zeit, in der ich hier stehe und zuschaue, nur ein Intermezzo ist, bevor ich mein Leben in Sekundenschnelle an mir vorbeiziehen sehe und das helle Licht kommt, das mich dorthin führt, wohin ich als Nächstes gehen werde.
    Aber der Krankenwagen ist da, die Polizei und auch die Feuerwehr. Jemand hat eine Decke über meinen Vater gelegt. Und ein Feuerwehrmann zieht gerade den Reißverschluss des Leichensacks zu, in dem meine Mutter liegt. Ich höre, wie er sich mit einem anderen Feuerwehrmann unterhält, der kaum älter als achtzehn sein kann. Der Ältere erklärt dem Grünschnabel, dass meine Mutter vermutlich zuerst getroffen und sofort getötet wurde, was das wenige Blut erklären würde. »Sofortiger Herzstillstand«, sagt er. »Wenn das Herz kein Blut mehr pumpen kann, blutet man auch nicht. Es versickert einfach.«

    Ich will nicht darüber nachdenken – darüber, dass das Blut meiner Mutter versickerte. Stattdessen denke ich, wie passend es ist, dass sie zuerst getroffen wurde, dass sie diejenige war, die die Wucht von uns abgefangen hat. Es war ganz offensichtlich nicht ihre Entscheidung, aber es war ihre Art.
    Aber bin ich tot? Das Ich, das am Straßenrand liegt, mit einem Bein über den Böschungsrand baumelnd, ist umringt von einer Gruppe aus Männern und Frauen, die mich mit hektischen Bewegungen säubern, entkleiden und mir Gott weiß was in die Venen stechen. Ich bin schon halb nackt; die Sanitäter haben mir mein T-Shirt aufgerissen. Eine meiner Brüste ist entblößt. Peinlich berührt schaue ich zur Seite.
    Die Polizei hat die Unfallstelle mit Fackeln abgesperrt und weist die Autos aus beiden Richtungen an, umzukehren. Die Straße ist komplett gesperrt. Die Beamten informieren die Fahrer höflich über andere Wege, Ausweichstraßen, auf denen die Menschen dorthin gelangen können, wo sie hinwollen.
    Es gibt bestimmt Orte, an denen die Menschen in diesen Autos ankommen wollen oder müssen, aber viele von ihnen kehren nicht um. Sie steigen aus und ziehen vor Kälte die Schultern hoch. Sie taxieren die Szene. Und dann schauen sie weg. Einige von ihnen weinen, eine Frau übergibt sich in den Farn am Straßenrand. Und obwohl sie nicht wissen, wer wir sind oder was passiert ist, beten sie für uns. Ich kann ihre Gebete spüren.

    Was mich wiederum zu dem Gedanken bringt, dass ich tot bin. Das und die Tatsache, dass mein Körper anscheinend völlig taub ist, obwohl ich mich eigentlich – schon allein wegen des Beins, das bei einer Geschwindigkeit von fast hundert Stundenkilometern über den rauen Asphalt geschleift und dabei bis auf den Knochen abgeraspelt wurde – vor Schmerzen winden müsste. Und ich weine auch nicht, obwohl ich weiß, dass etwas Undenkbares mit meiner Familie geschehen ist. Wir sind wie die Königskinder im Märchen, die nie wieder zueinanderkommen können.
    Ich grübele über diese Dinge nach, als eine Sanitäterin mit Sommersprossen und roten Haaren, die sich an mir zu schaffen macht, meine Frage beantwortet: »Ihr Glasgow-Koma-Wert liegt bei acht! Beatmung, aber schnell!«
    Sie und ein anderer Sanitäter mit breiten,
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