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Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Wenn ein Reisender in einer Winternacht

Titel: Wenn ein Reisender in einer Winternacht
Autoren: Italo Calvino
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natürlich wissen sie das, wir als die Repräsentanten der einzig möglichen Kontinuität mit dem, was vorher war. Sie brauchen uns, sie können gar nicht auf uns verzichten, sie müssen uns die Verwaltung des verbliebenen Restes übertragen. Und dann wird die Welt so wiedererstehen, wie wir sie haben möchten. «
    Nein, denke ich, die Welt, die ich wiedererstehen lassen möchte für mich und Franziska, kann nicht eure Welt sein! Ich möchte mich konzentrieren, ich denke an einen bestimmten Ort mit all seinen Einzelheiten, an eine Umgebung, in der ich jetzt gern mit Franziska wäre, zum Beispiel ein Cafe voller Spiegel, in denen die Kristallüster reflektieren, und eine Kapelle spielt Walzer, und die Geigenklänge schweben über die Marmortischchen und über die dampfenden Tassen und die Törtchen mit Schlagsahne. .. während draußen vor den beschlagenen Scheiben die Welt voller Menschen und Dinge ihre Präsenz bekundet: die Präsenz einer freundlichen und feindlichen Welt voller Dinge, an denen man sich erfreuen oder stoßen kann. Ich denke daran mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften, aber ich weiß jetzt, daß sie nicht ausreichen, um das alles wiedererstehen zu lassen: Das Nichts ist stärker und hält die ganze Erde besetzt.
    »Mit ihnen Verbindung aufzunehmen, wird allerdings nicht leicht sein«, reden die Kollegen von der Sektion D weiter. »Wir müssen aufpassen, daß wir keine Fehler machen und nicht kaltgestellt werden. Um das Vertrauen der Neuen zu gewinnen, haben wir an dich gedacht: Du hast dich in der Liquidationsphase als sehr anstellig erwiesen und bist der am wenigsten Kompromittierte von der alten Verwaltung. Also geh hin, stell dich ihnen selbst vor und erklär ihnen, was die Sektion ist und wie sie von ihnen benutzt werden kann für dringende, unverzichtbare Aufgaben. Na, keine Bange, du wirst die Sache schon irgendwie hinkriegen. «
    »Gut, dann geh ich gleich los, um nach ihnen zu suchen«, sage ich rasch, denn mir wird klar, wenn ich mich nicht sofort davonmache, um Franziska zu erreichen und in Sicherheit zu bringen, wird es zu spät sein, die Falle schnappt zu. Ich renne los, bevor die Typen von der Sektion D mir noch Fragen stellen oder Instruktionen erteilen können; ich haste über die glatte Eiskruste ihr entgegen. Die Welt ist reduziert auf ein Blatt Papier, das man nur noch mit abstrakten Wörtern beschreiben kann; gelänge es, nur das Wort »Blechdose« hinzuschreiben, so wäre es auch möglich, Wörter wie »Kasserolle«, »Tunke« und »Rauchfang« zu schreiben, aber die Stillage des Textes verbietet es.
    Auf dem Boden, der mich von Franziska trennt, sehe ich Risse, Sprünge, Spalten sich öffnen, jeden Augenblick droht mein Fuß in einer Fallgrube zu versinken, und die Lücken erweitern sich, bald wird eine Schlucht zwischen mir und Franziska klaffen, ein Abgrund! Ich springe von einem Rand zum andern und sehe unter mir keinen Grund, nur das Nichts bis ins Unendliche; ich laufe über Fragmente von Welt, Bruchstücke, die auf der Leere schwimmen wie Eisschollen auf einem schwarzen Wasser, die Welt zerbröckelt.    Hinter mir rufen die von der Sektion D und gestikulieren aufgeregt, daß ich umkehren soll, nicht weiter vordringen. Franziska! Da, nur noch ein letzter Satz, und ich bin bei dir!
    Sie steht vor mir, lächelnd, mit dem goldigen Schimmer in ihren Augen und ihrem kleinen, von der Kälte ein wenig geröteten Gesicht. »Oh, bist du's wirklich? Immer wenn ich über den Großen Prospekt gehe, treffe ich dich! Du bummelst hier wohl den ganzen Tag lang herum, was? Hör zu, ich weiß ein Cafe, hier gleich um die Ecke, voller Spiegel und mit einer Kapelle, die Walzer spielt. Lädst du mich ein?«

XI
    Leser, es ist an der Zeit, daß dein sturmgebeuteltes Schiff einen Landeplatz findet. Welcher Hafen könnte dich sicherer aufnehmen als eine große Bibliothek? Bestimmt gibt es eine in der Stadt, aus der du aufgebrochen warst und in die du nun wieder zurückgekehrt bist nach deiner Reise um die Welt von einem Buch zum anderen. Dir bleibt noch eine Hoffnung: Vielleicht sind die zehn Romane, die dir in den Händen zerrannen, kaum daß du sie zu lesen begonnen hattest, in dieser Bibliothek zu finden.
    Endlich hast du einen freien und ruhigen Tag. Du gehst in die Bibliothek, schaust in den Katalog und unterdrückst mit knapper Not einen Freudenschrei, nein, zehn Freudenschreie: Alle Autoren und Titel, die du suchst, sind säuberlich im Katalog verzeichnet.
    Du füllst einen
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