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Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)

Titel: Wenn du mir vertraust: Roman (German Edition)
Autoren: Luanne Rice
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Nadeln einen goldenen Schimmer. Es ergoss sich über die Dünen, die rotgolden leuchteten, strömte ins Meer, glitt zwischen die Wellen der Brandung. Wenn Berkeley jetzt hier gewesen wäre, hätte er etwas Außerordentliches geschaffen.
    Denn wenn die Sonne unterging, ging der Mond auf, ersetzte das Gold durch Silber. Sie dachte an den Talisman, den Tim auf dem zerbrochenen Rumpf von U-823 hinterlassen hatte. Shane hatte es ihr erzählt. Darauf war Maria abgebildet,
wie sie die Schlange unter ihrem Fuß zertrat. Mickey stellte sich vor, wie Maria die Männer segnete, die im Wrack oder auf dem Wasser gestorben waren. Und alle, die noch lebten …
    Sie dachte an Shanes Vater, und an ihren eigenen Vater. An alle Familien. An Damien und seine Töchter, und an die Liebesgeschichte, die nie erzählt worden war. Mickey sah sich im Kreis um und sprach ein lautloses Gebet für ihre Mutter und Tim, für Joe, Jenna und Tripp, für Shane, seine Mutter und den Major, für Beth und Frank.
    Und natürlich für die Schneeeulen.
    Das war Joes Fachgebiet. Alle hielten sich im Hintergrund, standen direkt vor den Dünen. Joe kauerte sich neben den Käfig. Die Vögel regten sich, drehten die Köpfe, erprobten bereits ihre Flügel. Mickey betrachtete das Männchen, das sie am Strand gefunden hatten, die erste Schneeeule, die sie je zu Gesicht bekommen hatte. Sie hielt den Atem an, als Joe die Käfigtür öffnete.
    Er blieb reglos stehen. Der Mond stieg merklich höher am Himmel, eine weiße Scheibe über dem Meer. Die Zeit verstrich, doch dann tauchte eine Eule aus dem Käfig auf, gefolgt von der anderen. Als sie sich beide auf dem Sand befanden, zog sich Joe ganz allmählich mit dem Käfig zurück.
    Aber nicht zu weit. Er wollte wohl sichergehen, dass alles in Ordnung war – er ließ sich auf ein Knie herab, den Blick unverwandt auf die Eulen gerichtet. Plötzlich ein Schrei – voller Freude, voller Sehnsucht nach der Tundra, bereit für die Rückkehr ins Eis. Eine der beiden Eulen erhob sich in die Lüfte, und die zweite folgte ihr umgehend.
    Sie flogen in einer geraden Linie über den Pier hinaus, über das Wasser, dem Mondlicht entgegen. Es ergoss sich wie ein strahlender Pfad in die Brandung über dem versunkenen Wrack von U-823. Die Eulen drehten ab wie die Flugzeuge, wie der Silberhai. Plötzlich gerieten sie ins Trudeln. Mickeys Herz drohte auszusetzen; sie rannte über den Strand, die Arme zum Himmel emporgestreckt, wie um sie aufzufangen.
    Joe hielt sie auf, hielt sie in den Armen, während ihre Hände noch immer erhoben waren.
    »Lass sie ziehen«, sagte er. »Es ist an der Zeit.«
    »Was ist, wenn sie es nicht schaffen? Wenn sie sich verletzen oder abstürzen?« Sie dachte an den weiten Weg, der vor ihnen lag, an die Gefahren, die unterwegs lauerten.
    »Schau doch«, sagte Joe, als die Entfernung größer wurde. »Bisher machen sie ihre Sache doch ganz gut.«
    Sie stand stumm da und beobachtete mit klopfendem Herzen den Flug der Eulen, blickte ihnen nach. Sie dachte an die schrecklichen Dinge, die ihnen zustoßen konnten, an die Prüfungen, die sie bestehen mussten, bevor sie das Ziel ihrer langen Reise erreichten.
    »Was ist, wenn sie es nicht schaffen? Wenn sie noch nicht so weit sind? Oder zu schwach sind? Oder keine Nahrung finden? Oder wenn sie angegriffen werden, wie hier?«
    »Du musst an das Gute auf der Welt glauben, Mickey.«
    »Aber davon gibt es nicht genug«, flüsterte sie, während die Tränen in ihren Augen brannten.
    »Es gibt dich.«
    »Mich?«
    »Du hast deinen Teil dazu beigetragen und etwas verändert.«
    Mickey blinzelte, wischte sich die Augen. Ihr Beitrag war unbedeutend gewesen, nur ein schwacher Versuch, zu helfen. Sie wollte glauben, so gerne glauben, dass es überall auf der Welt Gutes gab. Als sie sich umblickte und sah, wie die Menschen, die sie liebte, am Strand standen und ihr aufmunternd zulächelten, als wäre sie diejenige, die ihre Flügel ausbreiten und fliegen wollte, war sie beinahe geneigt zu glauben, dass Joe recht haben könnte.
    »Du musst vertrauen, Mickey. An den Frieden glauben, ja?«
    Sie standen beisammen, der alte Mann und das heranwachsende Mädchen, das versuchte, seine Worte zu verinnerlichen, die Verheißung zu spüren, die sie enthielten.
    Sie atmete tief die salzige Luft ein, sah, wie die Eulen, die über das Meer flogen, ihren Kurs änderten. Ihre Schwingen glänzten im Mondlicht, und sie wusste, dass Joe das silberne Flugzeug seines Bruders vor sich sah. Und dann
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