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Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Titel: Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
Autoren: Tara Hudson
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konnten mich natürlich nicht sehen oder spüren, aber es kostete mich dennoch Mühe, zwischen ihnen hindurchzukommen.
    Wie durch ein Wunder gelang es mir schließlich. Ich drängte mich zwischen zwei Gestalten hindurch und befand mich auf einmal neben der Trage, just in dem Augenblick, als die Sanitäter die Trage anhoben, um sie mitsamt ihrer Last in den Krankenwagen gleiten zu lassen.
    Ich beugte mich über den Jungen. Im Mondschein sah er blass aus, sein Gesicht hager und verschlossen. Aus irgendeinem Grund musste ich ein Schluchzen unterdrücken.
    » Josh?«, stöhnte ich, ohne recht zu wissen, was ich tun sollte. Ohne irgendetwas zu wissen.
    Da schlug er die Augen auf. Dunkle Augen – zu dunkel, als dass man ihre Farbe nachts hätte erkennen können. Er sah mich an und erwiderte meinen Blick in dem Moment, bevor die Sanitäter ihn außer Sicht schafften, möglicherweise für immer.
    » Joshua«, krächzte er mit vom Flusswasser rauer Stimme. » Nenn mich Joshua.«
    Dann wurde die Trage in den Krankenwagen geschoben, die Türen fielen krachend zu, und er war fort.
    Reglos stand ich am Flussufer. Ein paar Schaulustige blieben, nachdem der Krankenwagen abgefahren war, und liefen herum und sprachen über die Tragödie, die sich hier beinahe ereignet hätte. Ich bemerkte kaum, wie auch der Letzte ging und das letzte Scheinwerferpaar in der dunklen Nacht verschwand. Im Grunde passte ich nicht gut genug auf, um irgendetwas um mich herum zu hören oder zu sehen.
    Ich sah nur seine Augen, die direkt in die meinen blickten, hörte nur seine Stimme … die zu mir sprach? Ja, ich bin mir sicher, dass er mit mir gesprochen hatte. Niemand hatte ihn gebeten, seinen Namen zu nennen, als man ihn in den Krankenwagen lud. Er hatte keinen Grund gehabt, seinen Namen irgendjemandem außer mir zu sagen. Der Großteil der Menge schien ihn zu kennen. Vielleicht hatten sie ihn sein ganzes Leben lang gekannt. Vielleicht hatten sie genau wie ich gespürt, wie wichtig er war.
    Natürlich wusste ich jetzt, wie wichtig er war. Ich wusste es tief in meinem unvermittelt wachen Innersten. Ich wusste nichts über ihn – weder sein Alter noch seinen Nachnamen noch wie seine Stimme klänge, würde er meinen Namen sagen. Aber ich wusste, dass sich die Dinge für mich geändert hatten. Und zwar für immer.

3
    Zwei Tage vergingen.
    Ihr Verstreichen war, obwohl für die Lebenden wahrscheinlich nicht bemerkenswert, für mich außergewöhnlich. Ich hatte eigentlich nie einen Grund gehabt, die verstreichenden Tage zu zählen. Aufgang und Untergang der Sonne hatten keinerlei Wirkung auf mich, abgesehen davon, dass die Nacht mir die Sicht verdunkelte. Ich benötigte keinen Schlaf, und an dem Mangel an Gesellschaft, den ich tagsüber verspürte, änderte sich bei Sonnenuntergang auch nichts. Seit die Albträume eingesetzt hatten – die mich vom wachen Zustand in bewusstlosen Schrecken und dann plötzliches Tageslicht rissen –, hatte ich vollständig den Willen verloren, auf die Zeit zu achten.
    Doch das änderte sich jetzt.
    Jetzt konnte ich nicht aufhören, jede einsame Minute zu zählen, die verstrich.
    In der ersten Nacht, als ich beobachtete, wie der Krankenwagen wegfuhr, hatte ich flüchtig darüber nachgedacht, ihm zu Fuß zu folgen. Doch letztlich hatte ich den Einfall verworfen. Auch wenn ich in meinen Albträumen im Nu durch Raum und Zeit reisen konnte, hatte ich keine Möglichkeit gefunden, dies in wachem Zustand zu tun. Ich bewegte mich immer noch mit normaler menschlicher Geschwindigkeit voran, und wahrscheinlich hätte ich jahrelang herumlaufen können, bis ich das Krankenhaus gefunden hätte, in das der Rettungswagen den Jungen gebracht hatte.
    Erst nachdem das letzte Auto das Flussufer verlassen hatte, kam mir in den Sinn, dass ich mich auf eine leere Rückbank hätte stehlen und vielleicht mit dem Fahrer zum Krankenhaus hätte fahren können … und was dann? Die Vorstellung, mich als blinder Passagier bei einem lebenden Fremden einzuschleichen, und das in der vagen Hoffnung, in einem Krankenhaus zu landen, nur um dann verloren durch die Korridore dort zu wandern auf der Suche nach einem anderen Fremden – na ja, ich kam mir schon unvernünftig und töricht vor, während ich mir das Ganze auch nur ausmalte.
    Am Ort meines Todes herumzuirren war aber natürlich auch nicht sonderlich sinnvoll.
    Vom Flussufer aus hatte ich beobachtet, wie die Polizei die Lücke in der Brückenleitplanke über mir verbarrikadiert hatte. Ich hatte
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