Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Titel: Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
Autoren: Tara Hudson
Vom Netzwerk:
Körper geschlungen, warf ich einen ängstlichen Blick zu Boden. Schwarze Gummistreifen verliefen im Zickzack über das Pflaster, wo seine Reifen den aussichtslosen Versuch unternommen hatten, ihn daran zu hindern, über den Rand zu fahren.
    In dem Moment hörte ich den Schrei, ein fürchterliches, schallendes Kreischen, das hinter mir ertönte.
    Ich schreckte hoch. Ein Fluch, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass er mir bekannt war, entfuhr meinem Mund, als ich mich zu dem Geräusch umdrehte.
    Erst da erkannte ich, dass es sich bei dem furchtbaren Lärm gar nicht um einen Schrei gehandelt hatte. Es war das Geräusch von Reifen gewesen, die plötzlich quietschend angehalten hatten. Nur drei Meter von mir entfernt parkte ein schwarzes Auto, und die Tür ging auf.
    Unwillkürlich entspannte ich mich. Meine geisterspezifischen Instinkte wurden wach und sagten mir, dass kein Grund bestand wegzurennen, kein Grund, Angst zu verspüren. Denn wenn jemand ein Auto fuhr, konnte er mir nichts zuleide tun. Er konnte mich noch nicht einmal sehen.
    Doch offensichtlich hatten meine Instinkte die eine Ausnahme dieser Regel vergessen, selbst wenn mein Herz es nicht getan hatte.
    Ein Junge kletterte auf der Fahrerseite aus dem Wagen und schlug die Tür zu. Sein Profil verriet mir, dass er volle Lippen und eine schöne Nase hatte, die kaum merklich gebogen war, als sei sie einmal gebrochen gewesen, aber wieder gut verheilt. Er hatte fast schwarze Haare und riesige dunkle Augen. Als er diese Augen auf mich richtete, registrierte ich geistesabwesend, dass er einen viel gesünderen Teint hatte als bei unserer letzten Begegnung.
    » Du! Du bist es!«, rief er und zeigte direkt auf mich.
    Ohne einen weiteren Gedanken drehte ich mich um und rannte los.

4
    I n letzter Zeit war ich voller törichter Impulse. Da stand er nun, der Junge, an den ich die letzten beiden Tage – geradezu wie besessen – gedacht hatte, und trotzdem lief ich, so schnell ich konnte, in die entgegengesetzte Richtung, und hätte mein Körper noch Adrenalin ausgeschüttet, wäre es bei meiner Flucht verbraucht worden.
    Wie ich schon vermutet hatte, waren meine geistertypischen Instinkte offenbar so stark geworden, wie meine Instinkte zu Lebzeiten gewesen waren. Geister sollten nicht gesehen werden, egal, wie sehr sie es sich auch wünschten. Und sah jemand sie doch, war das Grund genug wegzulaufen, und zwar schnell.
    Jedenfalls hätten meine Gedanken so gelautet, wenn ich noch in der Lage gewesen wäre zu denken. Doch in dem Augenblick war ich nur zu blindem Entsetzen fähig. Angst dröhnte in meinem Gehirn, und sie übertönte beinahe die Stimme, die hinter mir erklang.
    » Bleib stehen! Komm schon, bleib stehen! Bitte.«
    Mit dem Klang seiner Stimme – tief und immer noch ein wenig heiser von dem Flusswasser, das er geschluckt hatte – erreichte er sein Ziel. Als ich hörte, wie sie ihm versagte, verspürte ich einen leichten Schmerz mitten in der Brust. Bloß einen leichten, unauffälligen, aber mich völlig außer Gefecht setzenden Schmerz.
    Ich hielt schlitternd an, beinahe am anderen Ende der Brücke. Ganz langsam drehte ich mich zu ihm um.
    » Danke!«, rief er heiser und sank zurück auf die Fersen. Seiner Haltung nach zu schließen, hätte er mir im nächsten Moment nachgesetzt.
    Ich schenkte ihm ein angespanntes Nicken. Es entstand eine merkliche Pause, dann fragte er: » Kommst du nun also zurück?«
    Ich schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall.
    Trotz der Entfernung vernahm ich sein Seufzen.
    » O-kay.« Er dehnte das O, als brauche er die Sekunden, die ihm diese Aussprache bescherte, um mit einem frustrierenden Rätsel gelassen umgehen zu können. » Kann … ich dann zu dir rüberkommen?«
    Ich zog die Stirn kraus, ohne ihm auf die eine oder andere Weise zu antworten. Er interpretierte meine Unschlüssigkeit wohl als Ja, denn er kam auf mich zu. Er ging bewusst langsam, und hob besänftigend die Hände, als wolle er mir signalisieren: Ich werde dir nichts tun, wildes Tier.
    » Ich komme in friedlicher Absicht!«, rief er, und ich sah, dass er nur ein klein wenig grinste. Das Grinsen wirkte gequält und zugleich süß und verhalten.
    Also konnte ich nicht anders, als sein Grinsen zu erwidern.
    Der Junge ließ die Hände sinken und lächelte mich offen an. Und da explodierte der leichte Schmerz in meiner Brust wie eine Bombe und erwärmte mir sämtliche Gliedmaßen.
    Wärme. Ich spürte Wärme. Spürte sie wirklich, genauso wie ich die Berührung seiner
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher