Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter

Titel: Wenn du mich siehst - Hudson, T: Wenn du mich siehst - Hereafter
Autoren: Tara Hudson
Vom Netzwerk:
Im Grunde wurde es mehr zu einem großen gemeinen Witz: Ich steckte in einem Gefängnis für einen. Es war, als existierte ich in meiner eigenen kleinen Dimension, von anderen nicht gesehen oder gehört, aber mir meiner Umgebung derart bewusst, dass es zum Verrücktwerden war.
    Mir fehlen die Worte, um zu beschreiben, wie ich mich deshalb fühlte – nicht nur unsichtbar, sondern auch ohne die Fähigkeit zu riechen, zu schmecken, ja sogar zu berühren. Auf welche Weise soll ich also beschreiben, wie ich mich fühlte, als ich merkte, dass meine einzigen körperlichen Empfindungen in den Albträumen auftraten, in denen ich meinen Tod erneut durchlebte?
    Oder aber wie soll ich die Berührung einer Hand an meiner Wange beschreiben, nach so langer Zeit?
    Die Berührung selbst war nicht nur außergewöhnlich, sondern sie öffnete auch anderen Empfindungen Tür und Tor.
    An den beiden Tagen nach dem Unfall spürte ich in den eigenartigsten Momenten Dinge aus der Welt der Lebenden. Wie die raue Rinde der Schwarzeiche, an der ich lehnte, oder einen winzigen Regentropfen, als ein kurzer Schauer über den Fluss zog. Diese Sinneseindrücke kamen und gingen schnell, entzogen sich meiner Kontrolle.
    Allerdings stellte ich fest, dass ich eines durchaus kontrollieren konnte: das kleine Kribbeln in meinen Adern, jedes Mal, wenn ich an seine Haut dachte. Das Kribbeln wies eine betörende Ähnlichkeit mit einem beschleunigten Pulsschlag an meinen Handgelenken und an meinem Hals auf, also suchte ich Wege, es so oft wie möglich zu wiederholen.
    Ich dachte gerade wieder an seine Haut, als sich noch eine Rückblende einstellte. Ohne Vorwarnung überwältigte mich ein Geruch, nahm mich vollständig gefangen. Ich erstarrte auf der Stelle und roch ein Büschel spätsommerlicher Brombeeren, die an einem Brombeerstrauch am Waldrand hingen. Ich beugte mich näher zu ihnen, atmete ihren Geruch ein, herb und überreif in der Mittagssonne. Obwohl der Duft bald verschwand und mich erneut die Taubheit überkam, lachte ich lauthals.
    Das war das zweite Lachen meines Lebens nach dem Tod, und ich wollte mehr davon. Ohne nachzudenken, stürzte ich die steile, grasbewachsene Böschung zur Brücke hinauf.
    Innerhalb eines Atemzugs hohe Hügel emporspringend. Beziehungsweise ganz ohne zu atmen. Das tote Supergirl. Ich lachte wieder, und mir schwindelte, als ich oben auf dem Hügel ankam und die Wiese durchschritt.
    Als ich den Standstreifen zur Straße hin überquerte, erstarrte ich allerdings, einen nackten Fuß auf dem Asphalt und einen auf der Wiese, die Arme wie eine Trapezkünstlerin ausgestreckt.
    High Bridge Road.
    Die Worte waren wie eine geflüsterte Drohung in meinen Gedanken, und mich überkam auf der Stelle das dringende Bedürfnis, von diesem Ort zu verschwinden. Etwas nagte dunkel an mir, meine Haut befiel ein nervöses Jucken.
    Spürte ich einen weiteren Albtraum, der sich regte? Nein, das hier fühlte sich wie eine ganz andere Art von Ahnung an, eine, die ich noch nie zuvor erlebt hatte.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich benahm mich lächerlich. Schließlich war ich tot. Was konnte schon unheimlicher sein als ich?
    Ich zwang mich, den einen Fuß vom Gras zu nehmen und auch den anderen auf dem Asphalt weiterzubewegen. Meine Beine rührten sich fast widerwillig, und bei jedem Schritt entlang des Standstreifens schoss ein unangenehmes Kribbeln mein Rückgrat empor.
    Das ist dumm, dachte ich. Ich richtete mich gerade auf. Ich weigerte mich, mich wie ein Hund mit gesträubtem Fell am Straßenrand herumzudrücken.
    » Beweg dich«, befahl ich mir laut. Ich schritt zielsicher weiter, wenn auch immer noch ein wenig steif. Jeder Schritt machte mich noch nervöser, aber ich wurde nicht langsamer, bis ich es beinahe zur Hälfte über die Brücke geschafft hatte.
    Ich blieb erst stehen, als ich die unregelmäßige Lücke in der hüfthohen Metallleitplanke rechts von mir erreichte. Zwischen der Lücke und der Straße befanden sich gelbes Polizeiband und ein paar hölzerne Sägeböcke, nur allzu geeignet, absolut gar nichts davon abzuhalten, von der Brücke zu stürzen. Die zerfetzte Leitplanke hing zu beiden Seiten der Lücke über den Brückenrand und schaukelte leicht in der Brise. Sein – Joshuas – Auto hatte ein mindestens ein Meter achtzig breites Loch in die Leitplanke gerissen, bevor es in den Fluss geflogen war.
    Ich erzitterte bei dem bloßen Gedanken an den Unfall, aber auch aufgrund des Klangs seines Namens in meinem Kopf. Die Arme um den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher