Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst
Autoren: Anna Salter
Vom Netzwerk:
auf.«
    Ich wollte gerade zum Radio greifen, als Mandy verlangte: »Du fährst. Lass Betsy das machen.« Betsy drückte wiederholt auf die Scannertaste, aber überall endeten gerade die Nachrichten, und es wurde wieder Musik gespielt.
    »Ich ruf bei der Polizei in Raleigh an«, sagte Mandy. »Mal sehen, ob wir eine Bestätigung bekommen und rausfinden können, wo Lily jetzt ist und in welches Gefängnis man Jena gebracht hat. Ich werde denen sagen, dass Lily bei dir gelebt hat und du die Vormundschaft hast. Hast du die Papiere dabei?«
    »Nein, aber wenn nötig kann ich jemand zu mir nach Hause schicken und sie durchfaxen lassen.«
    Mandy tätigte den Anruf, und alles ging einfacher, als wir erwartet hatten. Lily hatte nach uns gefragt, und man hatte bereits bei mir zu Hause angerufen. Da wir früh aufgebrochen waren, hatten wir den Anruf verpasst.
    Nachdem Mandy aufgelegt hatte, streckte ihr Betsy die Hand entgegen. »Gib mir das Telefon«, sagte sie. Mandy reichte es ihr.

    »Wen rufst du an?«, fragte ich. »Ich habe einen Cousin in Raleigh. Mitglied der Schulkommission. Countryclub-Typ. Kennt jeden. Ich werde Jena einen Anwalt besorgen.«
    Mandy wandte sich mir zu. »Du glaubst, es war wegen Lily?«
    »Du nicht?«
    »Gott segne dieses Kind«, sagte Betsy.
     
    Wir fuhren direkt zu dem Polizeirevier, auf das man Lily gebracht hatte. Sie hatten ihre Aussage aufgenommen und warteten nun darauf, dass jemand ausfindig gemacht würde, der sie nach Hause bringen konnte. Lily saß in eine Decke gehüllt in einem kleinen Vernehmungsraum. Eine Frau vom Sozialamt las in einer Zeitschrift.
    Wir gingen alle drei hinein, und Lily ließ die Decke fallen und kam quer durch den Raum auf uns zugeflogen. Ich schlang die Arme um sie, und Betsy streichelte ihren Kopf. Lilys Gesicht war beidseitig geschwollen und fing an, sich violett zu verfärben. Sie weinte ein paar Minuten lang heftig an meiner Schulter, und Betsy murmelte mir leise ins Ohr: »Treib einen Pfahl durch das Herz dieses Mistkerls.«
    »Sie hat ihn erschossen«, sagte Lily schließlich. »Meine Mom hat ihn erschossen. Da war überall Blut, und sie hat nicht mal gesprochen. Sie hat total abgedreht gewirkt. Es war, als wäre sie wahnsinnig oder so was. Wird sie wieder in Ordnung kommen?«
    »Wahrscheinlich«, sagte ich. »Sie steht vermutlich unter Schock wegen allem, was passiert ist.«

    »Es war Selbstverteidigung. Ich hab durch die Wand gehört, wie er sie verprügelt hat. Und dann hab ich ihn sagen hören, dass er sie umbringen wird, und dann war da so eine Art Kampf, und die Pistole ging los.« Aber ihre Stimme, sonst immer so sämig wie Orangensorbet, hatte ihre Textur verändert und sah nun rau und zerkratzt aus.
    Ich küsste sie auf den Scheitel und flüsterte in ihr Ohr: »Ich glaube, es war Lily-Verteidigung, nicht Selbstverteidigung.«
    Sie drehte den Kopf und flüsterte zurück: »Aber für Lily-Verteidigung könnte man ins Gefängnis kommen, oder?«
    »Das könnte man«, bestätigte ich.
    »Für Selbstverteidigung kommt man nicht ins Gefängnis«, sagte sie.
     
    Carter Bennington III entpuppte sich als gut gekleideter, stattlicher Mann Mitte sechzig. Er sprach und bewegte sich langsam, doch hinter dem freundlichen Ausdruck seiner Augen lauerte eine wache, messerscharfe Intelligenz. Durch die Referenzen, die Betsy von ihm hatte, wusste ich, dass er die Art Anwalt war, die ich im Zeugenstand am meisten fürchtete - die Art, die einen mit netten Anekdoten einlullt, während sie gleichzeitig mit der Effizienz eines Computers die Schwächen seines Gegenübers auslotet und beurteilt. Die Jurymitglieder würden nie etwas von seinen strategischen Manövern mitbekommen. Sie würden lediglich den geselligen, sympathischen Mann sehen, der sich zwanglos mit einem Zeugen unterhält, und sich dabei fragen, warum sie
nicht schon früher bemerkt hatten, dass der Zeuge ein Dummkopf war.
    Er kam langsam auf unsere kleine Gruppe zugeschlendert. Wir saßen im Foyer der psychiatrischen Klinik, in die die Polizei Jena gebracht hatte, aber Carter als ihr Anwalt war der Einzige, der bisher zu ihr gedurft hatte.
    Er stellte sich uns vor, dann wandte er sich an Lily. »Du musst Lily sein«, sagte er, und ich zog im Geist den Hut vor ihm, weil er als Erstes mit ihr sprach. Lily saß auf einem Stuhl, und Carter ging in die Hocke, um auf Augenhöhe mit ihr zu reden. »Du hast ziemlich was durchgemacht. Haben sie dich im Krankenhaus durchgecheckt?«
    Lily nickte. »Ich bin okay. Was
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher