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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst...
Autoren: Teresa Medeiros
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verwelkter, nasser Blätter, er näherte sich vorsichtig der Gruft. Die anderen folgten ihm, ihr Zögern war nicht zu übersehen. Aber nachdem er die Tür zur Gruft erreicht hatte, stand er da und schaute stumm auf die eiserne Türklinke.
    »Was ist?«, fragte Larkin und zog Vivienne zu sich.
    Adrian hob den Kopf. Caroline musste daran denken, dass er vermutlich genauso ausgesehen hatte, als er vor der Spielhölle stand und zugesehen hatte, wie sie verbrannte — und Eloisas Leichnam mit ihr. »Die Tür zur Gruft hat gewöhnlich kein Vorhängeschloss. Man befürchtet ja eher nicht, dass ihre Bewohner Fluchtgedanken hegen.«
    Caroline hatte eine ungute Vorahnung, und die feinen Härchen in ihrem Nacken richteten sich prompt auf.
    »Tretet zurück«, verlangte Adrian und zog die Pistole aus seinem Hosenbund.
    Als er mehrere Schritte zurückwich, taten es ihm die anderen nach.
    Er zielte, spannte den Hahn und drückte ab. Er sprengte das Schloss mit einem einzigen Schuss in tausend Stücke. Der laute Knall der Pistole hallte auf der Lichtung wider. Während sich der Rauch, der wie Nebel von dem Lauf aufstieg, allmählich verzog, öffnete sich die Tür zur Gruft knarrend.

23
    Auf unsicheren Beinen kam Julian aus der Tür, Portia wie ein Kind in seinen Armen. Ihr Kopf hing schlaff über seinem Arm, ihre schwarzen Locken reichten fast bis zu seinen Hüften. Ihre Augen waren geschlossen, ihre Haut totenblass — so bleich, dass bei den zwei deutlich erkennbaren Wundmalen an ihrem aschfahlen Hals eine Verwechslung ausgeschlossen war.
    Ein gebrochener Schrei entrang sich Carolines Lippen. Viviennes Knie gaben nach, und Larkin sank mit ihr auf die Erde. Er schlang seine Arme um sie, um ihr ersticktes Schluchzen an seiner Brust zu dämpfen.
    Adrians Gesicht war sogar noch schöner und schrecklicher als das des Engels, der über die Grabstätte wachte, als er in seine Tasche griff und einen Holzpflock herauszog.
    Er machte einen Schritt auf Julian zu, aber Caroline packte ihn am Arm und hielt ihn auf. »Nein, Adrian«, flüsterte sie drängend und bohrte dabei ihre Fingernägel in seinen Ärmel. »Sieh auf ihre Brust. Sie lebt!«
    Obwohl die Bewegung beinahe nicht zu erkennen war, hob und senkte sich Portias Brust in einem gleichmäßigen Rhythmus.
    Julian stolperte zu ihnen, und Tränen mischten sich unter den Regen auf seinem Gesicht. Caroline schnappte nach Luft; ihr war bis jetzt gar nicht aufgefallen, dass er aussah, als sei er dem Tode noch näher als Portia. Seine Augen waren eingesunken, seine Haut war so blass wie Pergament. Seine Zähne wirkten hinter den blauen Lippen gespenstisch weiß.
    Seine Stimme war nur mehr ein heiseres Krächzen. »Ich habe nur genommen, was ich zum Überleben brauchte.« Er schaute Portia mit erschütternder Zärtlichkeit an. »Ich hätte es gar nicht getan, wenn die sturköpfige, kleine Närrin nicht darauf bestanden hätte. Ich habe versucht, sie zu warnen, dass es zu gefährlich sei, dass ich mir nicht zutraute aufzuhören, ehe es zu spät war, aber sie wollte einfach nicht hören.«
    Während er auf die Knie fiel, ohne Portia loszulassen, erwachten die anderen aus ihrer Erstarrung und eilten zu ihnen. Behutsam nahm ihm Larkin mit Viviennes Hilfe das junge Mädchen ab, während Adrian Julian an sich zog.
    »Ich wollte nicht, dass du mich je wieder so siehst«, sagte Julian mit klappernden Zähnen. Er umklammerte Adrians Arm, während sein Körper von unkontrollierbarem Zittern geschüttelt wurde. »Ich wollte nicht, dass irgendjemand s-s-sieht, was Victor aus mir gemacht hat. Zu w-w-wissen, was für ein schreckliches Un-Un-Ungeheuer ich bin.«
    »Du bist kein Ungeheuer.« Adrian strich Julian mit zitternden Händen das vom Schweiß feuchte Haar aus dem Gesicht. »Wenn du das wärest, wäre Portia jetzt tot.«
    Julian schaute verständnislos zu ihm auf. »Wenn ich kein Ungeheuer bin, was bin ich dann?«
    »Du bist, was du immer gewesen bist und immer sein wirst.« Adrian senkte den Kopf, bis seine Stirn Julians berührte, und schloss die Augen, aber nicht ehe Caroline die Tränen darin entdeckte. »Mein Bruder.«
    »Wie geht es ihm?«, erkundigte sich Caroline flüsternd von der Türschwelle zum Turmzimmer aus. Es waren inzwischen mehrere Stunden verstrichen.
    Adrian saß nur mit Hemd und Hosen bekleidet in einem Polstersessel neben dem Bett. Die Beine hatte er vor sich ausgestreckt, und sein Kinn ruhte auf seiner Hand. Seine Augen wirkten müde und erschöpft, aber im Kerzenschein war
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