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Wenn alle Schranken fallen

Wenn alle Schranken fallen

Titel: Wenn alle Schranken fallen
Autoren: B Barton
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würden, musste Gordon unwillkürlich lächeln. Die blasse, zarte Rose und das raue, zähe Unkraut …
    “So?”
    “Sie hat einen grünen Daumen. Bei ihr wächst einfach alles.”
    Gedankenverloren sahen sie einander an. Mehrere Kunden warfen ihnen im Vorrübergehen neugierige Blicke zu. Im Gang nebenan hörte Lydia weibliche Stimmen.
    “Es ist Gordon Cameron”, flüsterte eine mollige grauhaarige Frau. “Er spricht mit Lydia.”
    “Was könnten die beiden wohl zu bereden haben?”
    “Bestimmt sprechen sie über diese entsetzliche Nacht.”
    Lydia errötete und hätte vor Scham im Boden versinken mögen.
    “Ich hatte gerade vor, bei ‘Lewey’s’ ein Bier zu trinken”, meinte Gordon in der Hoffnung, Lydias Aufmerksamkeit von den beiden Frauen abzulenken. “Warum kommen Sie nicht mit?”
    Mit ihm gehen? Ja, genau das wollte sie. Es ergab keinen Sinn, aber irgendwie hatte Lydia das Gefühl, er wäre der Einzige, der den Albtraum verstand, den sie seit zwei Monaten durchlebte. Einerseits fürchtete sie sich vor Gordon und der unwiderstehlichen Anziehungskraft, die er auf sie ausübte. Andererseits jedoch sehnte sie sich danach, von ihm umsorgt und beschützt zu werden.
    “Ich … ich weiß nicht … soll ich wirklich …?”, stammelte sie, hin- und hergerissen zwischen zwei grundlegenden Bedürfnissen – dem Wunsch, ihren guten Ruf zu bewahren, und dem Verlangen nach Gordons Gesellschaft.
    “Kommen Sie schon. Es ist ein heißer Tag, und hier drinnen wird es langsam ziemlich voll. Den Rosenstrauch können Sie auch später noch abholen.”
    Strahlende Junisonne lag wie transparentes Gold über der verschlafenen kleinen Stadt in Mississippi. Nicht der leiseste Windhauch wehte, als Lydia und Gordon auf den Bürgersteig hinaustraten.
    Schweigend machten sie sich auf den Weg ins “Lewey’s”. Beiden war bewusst, dass Gordons Hand auf Lydias Taille ruhte. Fasziniert beobachteten die Menschen auf der Straße und in den Geschäften, wie die Witwe des Bürgermeisters mit Macie Camerons Ehemann das Lokal betrat.
    “Lewey’s” war nicht mehr als eine winzige Imbissstube, bestehend aus einem L-förmigen Tresen mit runden Drehstühlen und fünf Nischen, von denen zwei an dem großen Fenster zur Straße hin lagen. Instinktiv führte Gordon sie zu einem etwas abgeschirmteren Tisch. Er setzte seinen Stetson ab und hängte ihn an einen Hutständer in der Nähe, bevor er Lydia gegenüber in die Nische schlüpfte.
    Sofort erschien ein Junge, Block und Bleistift in der Hand. “Hallo, Gordon, was darf ich Ihnen und der Lady bringen?”
    “Tee?” Gordon bemerkte, dass Lydia hinunter auf ihre Hände schaute, die in ihrem Schoß lagen.
    Sie hob den Kopf und sah ihn an, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. “Ungesüßten Eistee mit Zitrone, bitte.”
    “Eistee und ein Bier.” Der Junge notierte sich ihre Bestellung und eilte davon.
    In der antiken Musikbox lief ein alter Buddy-Holly-Titel. Obwohl Lydia seit über vier Jahren in Riverton lebte, war sie noch nie im “Lewey’s” gewesen. Nun erkannte sie auch, warum: Das Lokal besaß nicht gerade den Stil, den sie gewohnt war.
    “Wie geht es Ihnen?” Gordons Stimme war leise und tief. Sein Blick ruhte auf der Frau, die ihm gegenübersaß – die Frau, deren Anwesenheit ihm wie ein Traum erschien.
    “Es ist nicht einfach gewesen.” Das ist noch untertrieben, dachte Lydia. “Alle waren so überfürsorglich. Anscheinend glauben sie, die Wahrheit könnte mich nicht verletzen, solange niemand sie mir gegenüber erwähnt.”
    “Das hat es sicher noch schlimmer gemacht, oder?”
    “Ja.” Er schien der Einzige zu sein, der sie wirklich verstand. Nichts konnte sie vor der Realität beschützen. Ihr Mann war tot. Tödlich mit dem Auto verunglückt, zusammen mit seiner neuesten Geliebten. Tyler Dodson Reid, Rivertons Goldjunge, war im Alter von einunddreißig Jahren gestorben und hatte eine Ehefrau hinterlassen, die nicht nur verwirrt und unsicher in die Zukunft schaute, sondern außerdem von Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Versagens zerfressen wurde.
    “Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass Sie sich mit der Zeit nicht mehr allzu sehr an dem ganzen Klatsch, dem Anstarren und den mitfühlenden Blicken stören werden? Früher oder später taucht ein anderer armer Narr auf, und dann haben die Leute etwas Neues, worüber sie sich das Maul zerreißen können.”
    Das Schwierigste, womit Gordon in den letzten beiden Monaten hatte fertig werden müssen,
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