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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Paul Waters
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Decimus, der in Gallien aufgewachsen war und seine Heimat erst mit Julians Feldzug verlassen hatte, hatte kein Wort verstanden.
    »Decimus hat’s mehr mit Knaben«, warf Marcellus geschickt ein, und einer der Soldaten gluckste leise.
    Der Offizier fand das gar nicht lustig. Er blickte Marcellus kalt an, da er spürte, dass der Witz auf seine Kosten ging. Doch er schien es eilig zu haben und dringend weiterzuwollen, und so sagte er nach einem Augenblick drohenden Schweigens: »Seht zu, dass ihr wegkommt! Wenn ich euch noch einmal sehe, könnt ihr was erleben. Ist das klar?«
    Ich hatte die ganze Zeit den Kopf eingezogen und atmete jetzt erleichtert auf. Doch gerade als wir abziehen wollten, schallte hinter uns eine Stimme: »Haltet die Männer fest!«
    Ich drehte mich entmutigt um, denn ich wusste, wer da rief. Begleitet von mehreren Schreibern und zwanzig bewaffneten Gardisten schritt der Notar Paulus mit seinem geschmeidigen Gang auf uns zu. Seine dünnen Lippen waren weiß vor aufgestauter Wut.
    Wir wurden gepackt und zu einem freien steinigen Platz hinter den Pavillons gebracht. Die Gardisten hielten uns an den Armen fest. Als Paulus sah, dass wir hilflos waren, trat er vor. Langsam schritt er unsere Reihe ab und musterte unsere Gesichter wie ein Offizier vor dem Drill.
    Vor Marcellus blieb er stehen. »Aha, hier haben wir also Aquinus’ Enkel. Mir scheint, ich habe zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.«
    Marcellus erwiderte nichts, starrte Paulus nur verächtlich an.
    »Und nun werde ich euch vernichten«, fuhr Paulus fort. »Ich bedaure, dass es schnell gehen muss, aber ich kann keine weiteren Störungen gebrauchen.« Und an den Offizier gewandt: »Deinen Dolch, wenn ich bitten darf.«
    Der Offizier griff an seinen Gürtel und reichte Paulus die Waffe. Sie war üppig verziert, mit ziselierter Klinge und Edelsteinen am Heft. Der Notar drehte den Dolch in der Hand. Das Heft mochte protzig sein, die Klinge aber war scharf und tödlich.
    Decimus wollte sich losreißen. »Haltet sie fest!«, schnauzte der Notar.
    Wieder blickte er Marcellus an, überlegte es sich dann aber anders und ging einen Schritt weiter, sodass er vor Decimus stand.
    »Du zuerst«, sagte er scheinbar sanft.
    Decimus holte Luft und straffte die Schultern. Er war ein guter junger Soldat. Er wusste, was kam, und war entschlossen, es tapfer zu ertragen.
    Selbst jetzt noch überlegte der Notar, sei es aus Gewohnheit oder aus schierem Vergnügen, wie er den größtmöglichen Schrecken erzielen konnte. Es war scheußlich mit anzusehen. Langsam hob er den Dolch und setzte ihn an die weiche Haut unter Decimus’ Kinn. Ich hörte Decimus schlucken. Dann folgte eine schnelle Bewegung, jedoch nicht von der Hand des Notars. Es war Marcellus, der mit dem linken Arm zuschlug – er musste sich losgerissen haben – und den Notar am Handgelenk traf, sodass er den Dolch fallen ließ.
    »Ich habe befohlen, sie festzuhalten!«, brüllte Paulus. Marcellus zuckte zusammen, als ihm der Arm auf den Rücken gedreht wurde. Paulus rieb sich sein schmales Gelenk. Der Schlag hatte offenbar wehgetan, sehr zu meiner Freude.
    »Der vergebliche Mut eines Kameraden«, höhnte Paulus, sowie er sich gefasst hatte. »Bis zum letzten Augenblick ein Ehrenmann, genau wie dein lächerlicher Großvater, voll nutzloser Gesten längst untergegangener Tugenden. Damit hast du dein Todesurteil gefällt.«
    »Das stand ohnehin fest.«
    »Aber nicht die Todesart, oh nein, nicht die Todesart. Nun wird dein Freund – dein Geliebter – zuschauen, wie du stirbst. Ich bin gespannt, ob du schreien wirst. Ob du bettelst und flehst. Nun, wir werden sehen.«
    Er bückte sich nach dem Dolch. Dabei sah ich hinter ihm, ungefähr zwanzig Schritte entfernt an der Reihe der Pavillons,einen Mann herankommen, einen dicken Eunuchen mittleren Alters, der mehrere Lagen Stoff in Blau, Weiß und Gold am Körper und eine Filzkappe auf dem großen Kopf trug, dazu ein Juwelenhalsband. Er räusperte sich bedeutsam, sodass der Notar aufblickte. Als er sah, wer da kam, richtete er sich abrupt zu voller Größe auf und ließ den Dolch liegen.
    »Was willst du?«, fragte er.
    »Ich werde diese Männer mitnehmen«, sagte der Eunuch mit kalter, unechter Höflichkeit.
    »Aber sie sind meine Gefangenen!«
    »Maßt du dir an, mich in Frage zu stellen, Notar?«
    Paulus blickte ihn an. Sein Gesicht war starr geworden, seine Lippen weiß. Er setzte zu einer Erwiderung an, schien sich dann aber zu besinnen. Der
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