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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Paul Waters
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roch frisch. Ich blickte nach oben.
    Licht war keins zu sehen, aber als ich an der Wand hinaufgriff, ertastete ich einen schmalen gemauerten Schacht, der mit rostigen Eisenstreben versperrt war. Ich stieg auf den Sims und zog mit beiden Händen an den Stäben. Einer ließ sich bewegen, und das Knirschen hallte durch das Gewölbe.
    »Was war das?«, rief mein Mitgefangener. Als ich es ihm sagte, erwiderte er: »Du wirst deine Lage nur verschlimmern.«
    »Sie kann gar nicht schlimmer werden«, widersprach ich. »Denn ich bin Gefangener des Notars Paulus.«
    Er gab einen Laut des Entsetzens von sich und nahm eilig sein Gemurmel wieder auf.
    Es gelang mir, einen der Stäbe herauszubrechen. Während ich mit dem Nächsten beschäftigt war, rief mein Gefährte erschrocken: »Still! Die Wachen! Oh, was hast du getan! Sie haben dich gehört. Ich sagte doch, das führt zu nichts Gutem.«
    Ich ließ mich leise vom Sims herab und eilte zurück unter das Einlassgitter, so schnell ich es wagte.
    »Schweig still!«, zischte ich. Ich traute ihm zu, mich zu verraten.
    Oben erklangen Schritte. Durch das Gitter sah ich lange Schatten unter das Dach gleiten und hörte leise Stimmen. Dann verstummten sie. Längere Zeit blieb es still.
    Ich wartete. Plötzlich bewegte sich das Gitter und schwang auf. Bei schwachem Fackelschein spähten Gesichter herab, dunkle Silhouetten im Gegenlicht.
    Ich schaute hinauf und beschirmte meine Augen. Was ging hier vor? Warum verhielten die Wachen sich so leise?
    Dann hörte ich eine zaghafte Stimme meinen Namen flüstern. »Drusus? Bist du das?«
    »Marcellus!«, rief ich aus.
    Neben ihm hielt jemand die Fackel in die Öffnung, und ich sah sein ernstes Gesicht.
    »Hast du gedacht, ich vergesse dich?«, sagte er. »Bei allen Göttern, du siehst aus wie eine Ratte in der Gosse.«
    Er drehte den Kopf, und ich hörte ihn seine Begleiter fragen: »Wie holen wir ihn raus? Liegt da irgendwo ein Seil?«
    »Eine Leiter!«, rief ich. »Sie muss ganz in der Nähe sein.«
    Die Köpfe zogen sich zurück. Ich hörte Bewegung, dann senkte sich die Leiter herab.
    Ich trat an die Sprossen und hielt inne. »Bist du verletzt?«, fragte Marcellus. »Warte, ich ziehe dich hoch.«
    »Nein, es geht. Ich komme schon.« Ich streckte die Hand zu meinem Mitgefangenen aus. »Du steigst zuerst hinauf. Deine Gebete wurden erhört. Du kommst frei.«
    Er stierte mich dumpf an, und als ich einen Schritt auf ihn zumachte, wich er wimmernd zurück und drückte seinen christlichen Talisman an sich.
    »Wer ist das?«, fragte Marcellus, als ich oben stand.
    Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung … ein Beamter. Ein Sklave. Die Angst hat ihm offenbar den Verstand verwirrt.«
    »Soll ich ihn heraufholen?«
    »Er wird nicht freiwillig mitgehen. Aber lass die Leiter stehen, falls er sich doch noch anders besinnt.«
    Ich schaute Marcellus und dann die Männer an, die ihn begleitet hatten. Ich kannte sie vom Sehen. Sie hatten sich mit Uniformen einer der östlichen Legionen getarnt. »Wie habt ihr mich gefunden?«, fragte ich.
    »Durch Rufus.«
    »Er hat es euch verraten?«
    »Nicht direkt. Er kam vom Succi-Pass zurück und hat sich erhängt. Einer von Nevittas Leuten hat die Leiche gefunden.« Er blickte mir bedeutungsvoll in die Augen. »Nevitta war von allen am meisten überrascht, als Rufus zurückkam. Ich selbst war noch in den Bergen. Aber Decimus war da, und Rufus steckte ihm kurz vor seinem Freitod ein Briefchen zu und bat, ihn mir sofort zu geben und es niemandem zu erzählen.«
    Ich fragte, was darin stand.
    »Worte voller Selbstmitleid und Reue. Er beschrieb, wo du zu finden seiest.«
    Ich nickte und machte ein finsteres Gesicht. »Das war nicht allein sein Werk, Marcellus. Hat er verraten, wer ihm geholfen hat?«
    »Er hat keine Namen genannt. Nevitta hat mich dasselbe gefragt … immer wieder.«
    Dabei deutete er mit einem Blick aus seinen grauen Augen auf die drei Kameraden hinter ihm. »Keine Namen«, wiederholte er langsam, »und Nevitta ist überzeugt, dass er allein gehandelt hat. Verstehst du?«
    Ich verstand. Worte haben Macht, und was die anderen nichtwussten, konnte ihnen nicht schaden. Doch jetzt war nicht der Augenblick, um über unsere privaten Verdächtigungen zu sprechen. Schon zeigte sich das erste Morgenrot über dem Taurusgebirge.
    Die Straße draußen war noch verlassen. Die Wachen hatten offenbar befunden, dass ich in dem stinkenden Loch sicher aufgehoben war, und hatten sich an einen angenehmeren Ort zurückgezogen.
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