Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie

Titel: Wen die Erinnerung trügt - Crombie, D: Wen die Erinnerung trügt - Where Memories Lie
Autoren: Deborah Crombie
Vom Netzwerk:
gewesen zu sein, rief Gavin sich ins Gedächtnis – vielleicht war das hier sogar die erste Leiche des Mannes. »Wenn Sie sich übergeben müssen, gehen Sie so weit wie möglich weg«, mahnte er ihn, doch sein Ton war freundlich.
    »Nein, Sir, es geht schon.« Simms nahm Haltung an und bemühte sich, die Lampe ruhig zu halten.
    Gavin schob den Hut in den Nacken.Wenn das der erste Tote war, den der junge Mann zu Gesicht bekam, dann war er noch glimpflich davongekommen. Höchstwahrscheinlich einer der Veteranen vom Royal Hospital Chelsea, der auf der Bank eine Zigarette geraucht und den Blick auf den Fluss genossen hatte, als sein Herz plötzlich stehen geblieben war.
    Doch als er genauer hinsah, erkannte er, dass der Tote nicht die traditionelle marineblaue Uniform der Chelsea-Veteranen trug, sondern einen schwarzen Anzug. Stirnrunzelnd kniete er sich hin, und der widerliche Geruch des Bluts schlug ihm entgegen.
    »Mein Gott«, murmelte er. Er schluckte, dann herrschte er Simms an: »Geben Sie mir die Lampe!« Der Lichtstrahl glitt über einen schlanken Mann, dessen Körper so verdreht war, dass Brust und Gesicht nach oben gewandt waren. Ein Arm war ausgestreckt, als hätte er sich im
Fallen irgendwo festhalten wollen – vielleicht an der Bank. Sein dichtes, gewelltes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, doch sein glatt rasiertes Gesicht korrigierte den ersten Eindruck um etliche Jahre nach unten – Gavin schätzte ihn auf Ende vierzig oder Anfang fünfzig. Die dunkle Jacke war offen, und auf seinem weißen Hemd zeichneten sich große Blutflecken ab.
    »Irgendwelche Papiere?«, fragte Gavin und blickte zu Simms auf.
    »Nein, Sir. Ich habe nur rasch seine Taschen durchsucht, aber da ist nichts – keine Brieftasche, nicht mal ein bisschen Kleingeld.«
    »Sie haben ihn nicht bewegt?«
    »Nein, Sir.« Simms wirkte gekränkt. »Eine alte Aktentasche habe ich gefunden, so eine weiche, wie ein Schulranzen. Die lag neben der Bank, aber da war auch nichts drin.«
    »Merkwürdig«, sagte Gavin laut, als er sich wieder der Leiche zuwandte. Ein ungewöhnlicher Ort für einen Raubüberfall, und die Kleider des Mannes waren zwar von guter Qualität, aber abgetragen. Der Saum seines Hemdkragens war mit sorgfältigen Stichen ausgebessert.
    Was konnte dieser Mann aus offensichtlich verarmten Verhältnissen bei sich gehabt haben, das Anlass zu einer solchen Gewalttat gegeben hätte? Und warum sollte ein gewöhnlicher Dieb seinem Opfer alles wegnehmen, was es identifizieren könnte?
    Dann bemerkte er ein Glitzern am Hals des Mannes und richtete die Taschenlampe darauf. Es war eine dünne Goldkette, halb verdeckt vom Kragen des weißen Hemds. Gavin nahm sein Taschentuch heraus und schlug vorsichtig den Hemdkragen zurück. Ein kleiner Anhänger, nicht größer als sein Fingernagel, ruhte auf der weißen Haut am Schlüsselbein des Mannes. Gavin hob ihn so behutsam an, wie es ihm mit seinen vom Taschentuch verhüllten Fingern möglich war, und die Kette löste sich vom Hals des Toten – sie war nahe dem Verschluss gerissen.
    Gavin ging in die Hocke und betrachtete stirnrunzelnd den Anhänger.
    »Was ist es, Sir?«, fragte Simms und beugte sich schwer atmend über Gavins Schulter. »Sieht aus wie eine Miniatur-Hantel.«

    »Nein.« Gavins Gedanken wanderten zurück zu den Nachbarn seiner Kindheit, den Kaplans, und er erinnerte sich, wie er an schönen Tagen mit den Kaplan-Jungen Fangen gespielt hatte, immer zur Haustür hinaus und wieder herein. Er hielt den Gegenstand hoch, sodass er sich funkelnd im Schein der Lampe drehte.
    »Wenn ich mich nicht irre, ist das hier eine Mesusa, ein jüdisches Schutzsymbol.«
     
    Trotz der angeregten Gespräche am Tisch registrierte Kincaid den leicht beunruhigten Ton von Gemmas Stimme, als sie nebenan telefonierte. Er entschuldigte sich bei den anderen Gästen mit einem Lächeln und einem kurzen Blick in Doug Cullens Richtung.Auf dessen unmerkliches Nicken hin stand er auf und schlängelte sich am Tisch vorbei in die Küche.
    »Wir haben gerade Gäste zum Abendessen, aber ich könnte morgen früh vorbeischauen«, hörte er Gemma sagen, als er eintrat. Auf seinen fragenden Blick hin legte sie die Hand über den Hörer. »Es ist Erika. Sie sagt, sie müsse mit mir über etwas reden. Aber ich …« Ihr Blick ging zum Esszimmer, und sie zuckte mit den Achseln.
    Kincaid war überrascht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine so selbstständige und ausgesucht höfliche alte Dame wie Erika
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher