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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt
Autoren: Ernest Hemingway
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weiterschlief, dann die Navacerrada-Straße hinauf bis zur Hütte des Alpenklubs, wo er, Robert Jordan, drei Stunden lang schlief, bevor sie sich auf die Beine machten.
 So hatte er Golz verlassen, Golz mit dem sonderbaren weißen Gesicht, das sich nie bräunen wollte, mit den Falkenaugen, der großen Nase, den dünnen Lippen und dem kreuz und quer von Runzeln und Narben zerfurchten glatten Schädel. Morgen nacht werden sie vor dem Escorial in der Finsternis aufmarschieren, die lange Kette der Lastautos, die die Infanterie transportieren, die schwerbepackten Mannschaften, wie sie in die Autos klettern, die Maschinengewehrabteilungen, wie sie ihre Maschinengewehre in die Autos wuchten, die Tanks, die über die Ladebalken auf die langgestreckten Tankautos hinaufrollen, die Division, die sich formiert, um im Schutze der Nacht zum Angriff auf den Paß vorzurücken. Daran will er nicht denken. Das ist nicht seine Sache. Das ist Golz' Sache. Er hat nur eines zu tun, und daran muß er denken, und er muß es klar durchdenken und alles so nehmen, wie es kommt, und nicht so viel grübeln. Grübeln ist ebenso schlimm wie Angst haben. Dadurch wird alles nur viel schwieriger. Er saß am Ufer des Baches, sah das klare Wasser über die Steine gleiten, und am anderen Ufer wuchs ein dichtes Büschel Brunnenkresse. Er stieg über den Bach, rupfte zwei Handvoll aus dem Büschel, säuberte die schmutzigen Wurzeln in der Strömung, setzte sich dann wieder neben seinen Packen hin und aß die sauberen, kühlen, grünen Blätter und die knirschenden, pfeffrigscharfen Stengel. Er kniete neben dem Bach nieder, schob seine Armeepistole am Gürtel entlang bis ins Kreuz, damit sie nicht naß wurde, beugte sich nieder, sich mit den Händen auf zwei Felsblöcke stützend, und trank aus dem Bach. Das Wasser war beißend kalt.
 Als er sich wieder aufrichtete und den Kopf zur Seite wandte, sah er den Alten die Klippe herunterkommen. In seiner Begleitung befand sich ein zweiter Mann, gleichfalls mit einem schwarzen Bauernkittel und der dunkelgrauen Hose bekleidet, die in dieser Gegend fast wie eine Uniform waren. An den Füßen trug er die mit Hanfschnüren besohlten Schuhe und quer über dem Rücken einen Karabiner. Er war barhäuptig. Die beiden kamen wie die Ziegen über den Fels heruntergeklettert.
 Sie näherten sich ihm, und Robert Jordan stand auf.
  »Salud, camarada«, sagte er lächelnd zu dem Mann mit dem Karabiner.
  »Salud«, erwiderte der Mann widerwillig. Robert Jordan betrachtete sein grobes, mit Bartstoppeln bedecktes Gesicht. Es war ein fast rundes Gesicht, auch der Kopf war ganz rund und saß dicht auf den Schultern. Die Augen waren klein und standen zu weit auseinander, und die Ohren waren klein und saßen dicht am Kopfe. Er war stämmig, etwa einsachtzig groß und hatte große Hände und Füße. Sein Nasenbein war gebrochen und der Mund an der einen Seite durch eine Narbe zerspalten, die quer über die Oberlippe und die Kinnbacke lief, deutlich sichtbar unter den Bartstoppeln. Der Alte deutete mit einem Kopfnicken auf diesen Mann und lächelte.
 »Er ist hier der Macher«, sagte er grinsend, dann beugte er die Arme, wie um die Muskeln zu straffen, und warf dem Mann mit dem Karabiner einen halb spöttischen, halb bewundernden Blick zu.
 »Er ist sehr stark.«
 »Das sehe ich«, sagte Robert Jordan und lächelte wieder. Ihm gefiel der Mann nicht, und in seinem Innern lächelte er ganz und gar nicht.
 »Wie kannst du nachweisen, wer du bist?« sagte der Mann mit dem Karabiner.
 Robert Jordan entfernte eine Sicherheitsnadel von seiner Taschenklappe, zog ein zusammengefaltetes Papier aus der linken Brusttasche des Flanellhemds und reichte es dem Mann, der es aufmachte, es mißtrauisch betrachtete und zwischen den Fingern hin-und herdrehte.
 Er kann also nicht lesen, stellte Robert Jordan fest.
 »Schau dir das Siegel an«, sagte er.
 Der Alte zeigte auf das Siegel, und der Mann mit dem Karabiner betrachtete es aufmerksam, betastete es mit den Fingern.
 »Was ist das für ein Siegel?«
 »Hast du es noch nie gesehen?«
 »Nein.«
 »Es gibt zwei«, sagte Robert Jordan. »Das eine vom S. I. M., dem militärischen Nachrichtendienst. Das andere vom Generalstab.«
 »Ja, ich habe dieses Siegel schon gesehen. Aber hier befiehlt niemand außer mir«, sagte der andere mürrisch. »Was habt ihr in den Packen?« »Dynamit«, sagte der Alte stolz. »Gestern nacht haben wir uns in der Dunkelheit hinter die Front geschlichen, und
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