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Weltenende (German Edition)

Weltenende (German Edition)

Titel: Weltenende (German Edition)
Autoren: André Caspari
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in der Tür. „Jonas, wie schön; pünktlich wie immer. Geh schon rein!“, sagte er und deutete auf den Durchgang zum Wohnzimmer. Er selbst warf noch einen langen Blick auf die Straße, vor allem hinüber zum Haus der alten Sewert.
    „ Falls du jemanden suchst, ich habe niemanden gesehen“, sagte Jonas.
    „ Ich will nur sichergehen. Weißt du, wenn man alt wird, dann denkt man irgendwann, man wird verschont oder für dieses und jenes sei es schon zu spät und das gibt einem eine gewisse Ruhe und Befriedigung. Vielleicht wird man auch nur bequem. Aber letztendlich weißt du doch nicht, was im nächsten Jahr sein wird, im Grunde nicht einmal, was morgen passieren wird. Verstehst du, was ich meine?“ Ludwig lächelte und winkte ab, als er Jonas irritiertes Gesicht sah. „Nur das Geschwätz eines alten Mannes.“
    Im Wohnzimmer stand das Fenster offen. Auf dem Esstisch lag ein Fernrohr mit einer Flasche Glasreiniger und Tüchern, daneben ein Teller mit einer Scheibe Brot und Gurkenscheiben darauf.
    „ Du bist aber spät mit dem Abendessen.“
    Ludwig steckte sich eine Gurkenscheibe in den Mund und antwortete kauend: „Fast drei Stunden Presbyter Sitzung. Die Wegner bringt mich noch um den Verstand. Sie hat so viele Ideen. Ihr gefallen die Blumen nicht, die wir in der Kirche haben, sie will andere Kerzen, die Fenster sollen erneuert werden, der Boden soll häufiger gefegt werden, als ob es in meiner Kirche dreckig wäre, am besten bauen wir eine ganz neue Kirche, die sie entworfen hat.“ Ludwig seufzte. „Manches mag ja ganz nett sein, aber leider interessiert es sie herzlich wenig, wo das Geld für all das herkommen soll.“ Jonas setzte sich auf die Couch. „Willst du einen Tee?“, fragte Ludwig. Jonas nickte.
    Ludwig verschwand nur kurz in der Küche und kam mit zwei dampfenden Tassen zurück. „Du siehst aus, als könntest du ihn brauchen“, sagte er und ließ sich schwerfällig in den Sessel fallen.
    „ Ich werde schnell reisekrank.“
    Ludwig schlürfte an der heißen Tasse und wurde ernst. „Hast du es bemerkt?“
    „Raben habe ich gesehen, sonst finde ich, ist alles ganz ...“ Ludwig runzelte seine Stirn. „Was ist los?“, fragte Jonas.
    „ Du weißt, dass es irgendwann passieren musste. Ich meine, man hofft immer, dass es später passieren wird, ganz nach dem Motto besser morgen als heute, vor allem bei unangenehmen Dingen, aber irgendwann passieren sie nun mal.“
    „ Aber es hat noch nicht angefangen?“
    „ Hast du gar nichts gespürt? Dir fehlt das zweite Gesicht.“
    „Ich bin nicht sicher. Vielleicht draußen auf dem Wasser, als die Insel aus dem Meer auftauchte. Es war wie ein Stein in meinem Magen.“
    „ Die Sieben wurden gerufen, Jonas. In der Schattenwelt hat der Krieg begonnen und das ist ein untrügliches Zeichen, unwiderlegbar.“
    „Hast du die Sieben gesehen?“
    „Ich beobachte i n jeder freien Minute den Hafen vom Turm aus, aber ich bin nicht sicher. Sie zu erkennen ist schwierig, vor allem aus der Ferne.“ Von der Galerie auf dem Kirchturm, bis in die fünfziger Jahre ein Leuchtturm, konnte man die ganze Insel überblicken. „Du musst ab jetzt auf alles achten“, sagte Ludwig.
    „Ich glaube, ich bin noch gar nicht richtig hier“, entgegnete Jonas.
    „Wie dem auch sei, du musst jetzt vorsichtig sein. Das wird kein Urlaub in diesem Jahr.“
    „Hast du jemanden von der Ombrage gesehen?“
    „Sie müssen auf der Insel sein, sonst wären die Sieben nicht hier ; sie müssen gerufen worden sein.“ Jonas nahm den Becher vom Tisch und rührte einen Löffel Honig in den Pfefferminztee. „Das wird kein normaler Sommer“, wiederholte Ludwig nachdenklich. Jonas wusste, was er wirklich meinte: sie konnten froh sein, wenn es nach diesem Sommer noch einen Herbst geben würde. In gewisser Weise war er darauf vorbereitet, doch hatte er nie erwartet, dass es auch wirklich geschehen würde, auf keinen Fall so schnell.
    „ Und jetzt? Wir lange haben wir noch?“
    „ Schwer zu sagen, aber in zwei Tagen ist Vollmond. Du musst rüber und Siegelstein und Wachs holen. Du wirst beides brauchen am Ende. Wir müssen uns vorbereiten.“
    Von draußen war das aufsteigende Jaulen eines Hundes zu hören. Ludwig stand auf und trat ans Fenster. Jonas drehte seinen Kopf über die Schulter. „Schau mal in den Karton!“, sagte Ludwig. Jonas stellte den Becher auf den Tisch und öffnete den Pappkarton neben sich. Kleine Büschel aus Mistel- und Eisenkrautzweigen waren darin. „Du weißt,
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