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Weltenende (German Edition)

Weltenende (German Edition)

Titel: Weltenende (German Edition)
Autoren: André Caspari
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Kapuze, die er gerade in den Schrank gehängt hatte. Auf der Insel wurde es auch im Hochsommer nicht so warm wie auf dem Festland und abends konnte es rasch abkühlen. Aus dem Rucksack fingerte er eine Taschenlampe und sein Taschenmesser, das er seit der kurzen Zeit bei den Pfadfindern besaß, beides verschwand in einer Hosentasche. Ganz wohl war ihm immer noch nicht. Er wurde häufig reisekrank, aber die Übelkeit verflog für gewöhnlich rasch, sobald er festen Boden unter den Füßen hatte. Aber heute nicht.
    Zehn vor zehn schlich er über die knarzenden Dielen im Flur. Im Wohnzimmer unten konnte man das nicht hören, höchstens die Gäste in der Ferienwohnung, aber die interessierte Jonas wenig. Am Ende des kurzen Korridors lag Fannys Abstellraum für Christbaumschmuck, Weihnachtsdekorationen, vier zusätzlichen Stühlen für den Esstisch, falls Gäste zu Besuch kamen, und einigen Kisten mit Kleinkram, alles Dinge, die nicht feucht werden sollten, denn der Keller des Bauernhauses war dafür vor allem in den Wintermonaten nicht geeignet. Vorsichtig räumte er Kartons von der Fensterbank, damit er das Fenster öffnen konnte. Früher war es ein beliebter Weg gewesen, um mit Carl zu abendlicher Stunde das Haus zu verlassen. Dank des stabilen Gitters für Kletterrosen – Tante Fanny hatte ihrem Mann vorher gewarnt, dass es für Rosen zu dunkel sei hinter dem Haus - war es ein Leichtes hinunterzuklettern. Das Efeu, das sich jetzt breit machte, stellte kein großes Hindernis dar, im Gegenteil. 
    Unten zwischen Haus und Wald gab es nur ein schmales Stück Wiese, das sich nach rechts verjüngte. An der Wand lehnte feinsäuberlich aufgereihtes Feuerholz zum Grillen – Onkel Barney schwor auf Walnussholz zum Grillen – und es gab einen neuen Fußweg aus rötlichen Steinplatten. Jonas setzte den linken Fuß auf die oberste Strebe, testete vorsichtig, ob sie sein Gewicht noch hielt, aber was Barney baute, das baute er für die Ewigkeit. Mit der Hand griff er nach der Regenrinne, schwang sich routiniert aus dem Fenster, stieg drei, vier Querstreben nach unten, ehe er rücklings auf den Streifen Gras sprang. Rasch lief er in den Wald, damit ihn sein Onkel oder seine Tante nicht doch noch zufällig aus einem der unteren Fenster sahen, wie er sich davonstahl. Anfangs ging er querfeldein, bis er zu dem Pfad kam, der am Hof vorbei zum Strand führte, diesem folgte er bis zur nächsten Abzweigung, wo es direkt in Richtung Ort ging. Die meisten Wege im Kiefernhain waren gerade und schmal, ehedem zwar von breiten Harvestern angelegt, aber seit die ganze Insel zum Nationalpark erklärt und das Holzfällen verboten worden war, waren sie über die Jahre zugewuchert. Zwischen den hohen Stämmen wuchsen überall kleine Kiefern und füllten die Lücken. Der städtische Bauhof sorgte nur dafür, dass die Wege begehbar blieben, sonst überließ man die Natur sich selbst.
    Schon von weitem schimmerte das Elster-Anwesen durch die Stämme. Putz und Mörtel bröckelten von den Wänden, die Fenster waren längst eingeschmissen und alles nicht wirklich niet- und nagelfeste war schon lange zu Kleinholz zerschlagen oder weggeschafft worden. Eine dünne Birke wuchs aus dem Anbau. Die Natur forderte ihren Grund und Boden zurück. Jonas hatte keine Ahnung, wer hier mal gewohnt hatte. Seit er denken konnte, war das Gebäude am zerfallen.
    Er warf einen Blick ins Innere. Früher hatten sie hier gespielt, zumindest tagsüber, denn abends hatten sich hier Georg und seine Freunde getroffen. Auch jetzt verteilten sich Zigaretten, Bierdosen und zerschlagene Flaschen kreisförmig um einen notdürftigen Tisch aus halbkaputten Weinkisten. Im Licht der Taschenlampe prangten hunderte Farbspritzer von Paintballkugeln an den Wänden, bildeten fast so etwas wie ein Kunstwerk. Jonas erinnerte sich nicht, dass es schon dagewesen war. Ob Georg und seine Freunde noch immer hierher kamen? Sie waren längst alt genug, um ihr Bier im Roten Segler zu trinken oder am Kiosk im Hafen. Herrje, dachte Jonas, selbst er war jetzt alt genug; er hatte sich noch nicht daran gewöhnt.
    E r eilte weiter, lief über die nahe Wiese und noch ein letztes Stück durch den Hain, ehe er mit Anlauf über einen Stacheldrahtzaun sprang. Er umrundete die Herde Schafe – man tat gut daran, sich vor den Böcken in Acht zu nehmen - und kam auf der anderen Seite direkt auf den Weg zur Parkanlage und der Kirche heraus. Der Duft von frisch gemähten Gras lag in der Luft.
    Ludwig Heilig wartete schon
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