Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Welch langen Weg die Toten gehen

Welch langen Weg die Toten gehen

Titel: Welch langen Weg die Toten gehen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
als Steuerfahnder vor. Ich sagte, ich hätte einige Male geklingelt, aber es sei nicht aufgemacht worden. Wir gingen zum Haus zurück und versuchten es erneut. Schließlich und mit nichts weiter als einem tiefen Seufzer über den vergeblichen Ausflug wünschte sie mir einen guten Tag und machte sich wieder auf den Weg. Ihre MS machte sich damals noch kaum bemerkbar, sie schritt rüstig aus, doch da es zu nieseln begann, hielt ich an, als ich sie mit dem Wagen überholte, und fragte sie, ob ich sie mitnehmen könne. Sie meinte, nein, sie sei von der Bushaltestelle mit dem Taxi gekommen und würde zur nächsten Telefonzelle gehen, um sich eines zu rufen, das sie zurückbringen würde. Natürlich bestand ich darauf, dass sie einstieg, und als ich hörte, dass sie bei ihrem Ausflug auf einen Bus angewiesen war, der erst in eineinhalb Stunden losfahren und sie dann, nach über einer Stunde Fahrzeit, in einem kleinen Dorf absetzen würde, von dem aus es noch einmal vierzig Minuten Fußmarsch zu ihrem Haus war, ignorierte ich ihre Proteste und fuhr sie selbst hin.
    Meine Motive, gebe ich zu, waren gemischter Natur. Sie stellte möglicherweise einen Unsicherheitsfaktor dar, dessen ich mich vergewissern wollte. Aber zu meiner eignen Überraschung war ich auch fasziniert von ihr. Sie schien, ich weiß nicht, eine geistige Unabhängigkeit zu besitzen und war so frei von allen Zwängen, zumindest von jenen, die ich als solche erkannte. Ich begegne nicht oft Menschen wie ihr.
    Meine erste Reaktion, als ich ihr Cottage sah – die Türen waren unverschlossen, die Fenster standen offen, Vögel flogen ein und aus – war Enttäuschung. Vielleicht war sie doch einfach nur verrückt! Aber es hatte nichts Verrücktes, als sie mich einlud, Platz zu nehmen, und mir dann Tee und die köstlichsten Scones auftrug.
    Wie seltsam. Bei jemandem in meinem Beruf wird die Loyalität häufig durch Bestechungsversuche auf die Probe gestellt. Aber das einzige Mal, dass ich mich nicht ganz an die Regeln hielt, geschah dies wegen eines gebutterten Scones. Konnte Mr. Dalziel so leicht zu Fall gebracht werden, fragte ich mich?
    Ich bin nicht ungeschickt, wenn es darum geht, anderen Informationen zu entlocken, so dass mich Miss Mac, nachdem sie sich an meine Anwesenheit gewohnt hatte, wie ihre Vögel behandelte, mit denen sie alle Gedanken und Gefühle teilte.
    Anscheinend hatte ihr Bruder sie in der vorangegangenen Woche besucht und sich dabei in einem sehr aufgewühlten Zustand befunden, der mit Kays und Helens bevorstehender Reise in die Staaten zu tun haben mochte. Er schien davon überhaupt nicht angetan gewesen zu sein, verstärkt wurde dies noch durch dringende Angelegenheiten in London, was für ihn bedeutete, dass er einige Tage fort sein und erst wieder am Tag vor der geplanten Abreise zurückkommen würde. Anscheinend hatte er Lavinia gebeten, falls es ihr möglich wäre und die Notwendigkeit bestünde, zu kommen und sich für eine Weile um den Haushalt zu kümmern, was sie auch bereits nach dem Tod seiner ersten Ehefrau getan hatte. Doch als sie sich nach Einzelheiten erkundigte, wich er aus, lenkte das Gespräch in eine andere Richtung und verbrachte den Rest des Besuchs mit Plaudereien über ihre Kindheit im Moscow House, als es dem Familienunternehmen noch gut ging und die Zukunft vor ihnen lag wie ein sonnenbeschienener Strand. Das waren ihre Worte. Oder vielleicht auch seine.
    Diese Erinnerung an eine Zeit, als sie beide noch wunderbar miteinander ausgekommen waren und seine Besorgnis über ihre, wie er meinte, zunehmende Schrulligkeit noch keinen Keil zwischen sie getrieben hatte, bereitete ihr in den folgenden Tagen am meisten Sorgen und veranlasste sie dazu, zu einem ihrer seltenen Besuche im Moscow House aufzubrechen, um sich selbst ein Bild von der dortigen Lage zu machen.
    Ich beruhigte sie so gut ich konnte, abermals überrascht von meinem Unbehagen, das fast an Schuldgefühle grenzte, wenn ich daran dachte, dass die Leiche ihres Bruders in diesem Moment in seinem Arbeitszimmer erkaltete. Aber nicht zu kalt wurde. Um den Zeitpunkt des Todes zu verschleiern, hatte ich die Zentralheizung für die nächsten Tage bis zum zweiundzwanzigsten, dem Tag, bevor sein Sohn laut dessen Brief nach Hause kommen würde, auf die höchste Stufe gestellt. Später besuchte ich Tony Kafka bei Ash-Mac, um ihn auf dem Laufenden zu halten und die Maßnahmen zu überprüfen, die er bezüglich Macivers angeblicher Kontaktversuche in die Wege geleitet
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher