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Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)

Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)

Titel: Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Autoren: Nicole Alexander
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unwiederbringlich verändert. Hamish drehte sich auf den Rücken. Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, hätte er Mary während des Fiebers nicht gepflegt. Aber er hatte geglaubt, sie würde sterben wie seine Mutter und seine kleinen Schwestern. Aus Liebe war er an ihrer Seite geblieben, obwohl er eigentlich hätte gehen müssen. Wenn sie gestorben wäre, hätte er ihr vergeben können, aber im Leben konnte er das nicht.
    Hamish spürte die Leere um sich herum. Tausende hielten sich hier auf, doch er wusste, dass sich jeder Mann einsam fühlte. Er konnte die Verzweiflung in der Luft riechen. Eine Eule rauschte herunter, eine Maus quiekte, und dann war es wieder still. Ja, es war wirklich Zeit zu gehen, dachte Hamish, während er in den sternenklaren Himmel blickte. Bald würden sie nach Norden ziehen. Die Treiber hatten erzählt, dass sie nach den Sternen reisten, und auch die Mannschaft der Elfgin navigierte nach den Sternbildern. In der Bibel stand, dass ein Stern die drei Weisen aus dem Morgenland zu Jesus geführt hatte. Auch er würde den Sternen folgen, dachte Hamish schläfrig, und wenn er seinen kleinen Bruder hinter sich herziehen musste. Der Schlaf übermannte ihn. Jetzt fehlte nur noch ein leichtes Schwanken, und er würde sich vorkommen wie auf der Elfgin, auf der er für seine Überfahrt in das neue Land gearbeitet hatte.
    Kurz vor Morgengrauen rieb Hamish sich den Schlaf aus den Augen. Er schürte das Feuer. Am Horizont zeichnete sich bereits ein erster blassrosa Streifen ab. Aus einem Jutesack nahm er ein Stück Fleisch und schnitt es in zwei gleich große Teile. Der Wasserkessel hing schon über dem Feuer. Hamish mischte Wasser und Mehl zu einem Teigklumpen, den er dann in die Glut legte.
    Sechs Monate waren sie jetzt schon auf den Feldern. Der Winter, selbst nach schottischen Maßstäben hart, kostete viele das Leben. Krankheiten tauchten unerwartet auf und verschwanden genauso unerklärlich wieder. Charlie litt jetzt noch unter den Folgen einer solchen Krankheit. Es war typisch für den Jungen, dachte Hamish missmutig, dass er so leicht krank wurde wie ein Mädchen. Als ob er gemerkt hätte, dass er über ihn nachdachte, schlug Charlie die Zeltklappe zurück. Ausgemergelt und mit tiefen Schatten unter den Augen bückte er sich über einen Blecheimer und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
    » Ich habe mir überlegt, Junge, dass wir in zwei Monaten weggehen.« Hamish reichte seinem Bruder einen Becher Tee. Dann warf er ein Stück Speck in die schmiedeeiserne Pfanne auf dem Feuer, um die zwei Stücke Fleisch darin zu braten. Er drückte fest auf die beiden gesalzenen Lammscheiben. Fleisch zum Frühstück war ein Luxus. Das hier war der letzte Rest von einer Lammkeule, die er von einem Neuankömmling gegen eine Hacke eingetauscht hatte, und es war schon fast verdorben.
    Charlie hockte sich auf einen umgedrehten Kochtopf. Beim ersten Schluck verbrannte er sich die Zunge an der heißen Flüssigkeit. » Und warum änderst du ständig unsere Pläne? Du hast doch immer gesagt, wir bleiben ein Jahr hier.«
    Hamish zog die Schultern hoch und wendete den Teigbrocken mit seinem Messer. Er war verdammt hungrig heute Morgen und hatte für komplizierte Gespräche keinen Sinn.
    Charlie begann zu husten, eine lange, mühsame Prozedur, die seinen gesamten Körper erschütterte. Als die Krämpfe nachließen, spuckte er grünen Schleim hinter sich. » Ist es wegen mir? Der Winter ist doch fast vorbei, und Lee kommt heute wieder und bringt frische Kräuter mit.«
    » Ja, das stimmt«, erwiderte Hamish. Wenn man sich auf eine Person verlassen konnte, dann war es Lee. Der Chinese hatte unablässig darum gebettelt, den beiden Brüdern beim Waschen, Kochen und anderen Pflichten helfen zu dürfen, und schließlich hatte Hamish nachgegeben. Jetzt beschützte er Lee, und als Gegenleistung kochte und sorgte der Chinamann für sie. Er braute aus Kräutern einen bitteren Trank, der den Husten des Jungen linderte. Lee war in Südchina an einen Lehnsherrn gebunden und zusammen mit siebenhundert Landsleuten im Frachtraum eines Schiffs auf die Goldfelder gekommen, um in seiner Heimat seine Schulden bezahlen zu können. Vielleicht fühlte Hamish sich ja deshalb für den Chinesen so verantwortlich, weil er die Reise allein angetreten hatte.
    Jetzt war es Frühling geworden, aber Hamish bezweifelte, dass die warme Luft die Krankheit seines Bruders heilen würde. Es war definitiv an der Zeit, den Goldfeldern den Rücken zuzuwenden.
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