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Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)

Titel: Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Autoren: Urs Wälterlin
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das ich in den Jahren als Korrespondent berichtet habe, hat mich so oft beschäftigt wie die australische Asylpolitik. Sie gilt als die brutalste, unbarmherzigste und menschenverachtendste aller westlichen Staaten. Es sind nur Menschen wie Betty, die mir den Glauben gelassen haben, dass ich nicht in einem Land lebe, in dem Worte wie »Anstand«, »Humanität« und »Generosität« in den letzten Jahren jegliche Bedeutung verloren haben und wenig mehr sind als billige Floskeln, verlogenes Politikergeschwafel.
    Fünf »Jungs« habe sie, erklärt Betty, von denen zwei schon seit vier Jahren im Internierungslager leben. Drei Männer, um die sie sich aus der Ferne kümmert, stammen aus Afghanistan. Zwei aus dem Irak. Alle waren mit Booten nach Australien gekommen oder zumindest in australische Gewässer. Mitten in der Nacht waren sie in einem kleinen Hafen auf der indonesischen Insel Java in ein schäbiges Fischerboot gestiegen. »5000 Dollar hat jeder den Menschenschleppern bezahlt«, sagt Betty, »alles Geld, das sie besaßen, danach hatten sie nur noch die Kleider, die sie am Körper trugen.« Die letzte Fahrt durch die gefährlichen Gewässer zwischen Indonesien und der australischen Nordküste wurde – wie schon Hunderte Male zuvor – zum Drama. Das Boot war völlig überladen. Dann kam der Sturm. Das Schiff kenterte. »Acht Menschen ertranken, unter ihnen zwei Kinder«, erzählt Betty. »Auch der Knabe von Ahmed. Sechs Jahre alt war er.« Als die australische Marine endlich zur Rettung kam, wurde Ahmed auf die zu Australien gehörende Weihnachtsinsel gebracht. Dort harrte er 18 Monate lang hinter Gittern aus, wartete auf einen Asylentscheid. »Der Tod seines Sohnes hat seine Seele gebrochen«, sagt Betty. Schließlich wurde der Mann in ein Internierungslager nach Südaustralien gebracht. »Ich darf jede Woche einmal mit ihm telefonieren.« Und jetzt will sie ihn besuchen.
    Zwei Tage später. Betty und ich stehen in der südaustralischen Wüste. Für Hunderte von Asylsuchenden wird hier die Hoffnung auf ein neues Leben zum Alptraum.
    Das Asylbewerber-Internierungslager Baxter. Eine enorme Anlage aus Stahl und Beton, Wellblech und Schutztürmen. Das Lager ist mit einem Schutzsystem ausgerüstet, sicherer als das eines Hochsicherheitsgefängnisses. Sechs Meter hohe Metallzäune, einer ist elektrisch geladen. Messerscharfe Spitzen, darüber Stacheldraht. Dahinter ein Todesstreifen und nochmals hohe Gitter. Dann die Unterkünfte, in denen Hunderte Männer, Frauen und Kinder untergebracht sind. Und Bettys »Jungs«. Sie wartet auf das grüne Licht der Behörden. Eingereicht hatte sie den Besuchsantrag vor drei Monaten. Die Sonne brennt auf Betty Dixons Schultern, ein Hut schützt ihre helle Haut vor den Strahlen. Keuchend setzt sie sich auf einen Felsen am Straßenrand. »Ich habe Durst«, sagt sie.
    Hinter uns protestieren ein paar Studenten gegen die Politik der Zwangsinternierung von Asylsuchenden, ein paar Sozialisten, Linke, Grüne, Hippies. Betty ist das untypische Gesicht des Widerstandes gegen ein System, das sie als »menschenverachtend und rassistisch« bezeichnet. Ehemalige Hebamme, der Ehemann war Bankdirektor. Gutbürgerliche, konservativ-australische Verhältnisse. Doch in ihrem Innern brennt das Feuer einer Revolutionärin. »Diese Politik ist eine Schande für jeden Australier«, sagt sie und steckt sich eine Marlboro an. »Ich schäme mich für mein Land. Wir sind so reich, und doch weisen wir diese Menschen ab.«
    Es ist eine der großen Widersprüchlichkeiten, dass in dieser Nation von »Ausländern« eine hysterische Abneigung gegenüber Menschen besteht, die ihren Schutz suchen. Viele Australier sind selbst Flüchtlinge oder stammen von Flüchtlingen ab. Das Land hat in den letzten 50 Jahren über 600000 Schutzsuchende aufgenommen – in früheren Zeiten mit sehr viel Großzügigkeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Australien ein Zufluchtsort für Tausende von Vertriebenen aus Europa. Auch heute noch gründen fast alle Flüchtlinge Geschäfte, schaffen Arbeitsplätze, bezahlen Steuern und stimulieren so die Wirtschaft für alle Australier. Frank Lowy, der Mann, der die Westfield-Kette gegründet hatte, ist eines von vielen Beispielen.
    Das politische Klima änderte sich in den achtziger Jahren, unter den Regierungen der sozialdemokratischen Premierminister Bob Hawke und Paul Keating. Die Praxis der Zwangsinternierung von Bootsflüchtlingen wurde zu einem wichtigen Instrument der Politik.
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