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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel
Autoren: Justin Evans
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Das Gesicht des Zeugen verzog sich, als hätte er Angst, dass sich der Tote aufraffen und wie ein Zombie durch die Gegend schwanken würde. Bald gab die Polizistin auf und schlenderte zu ihrem Kollegen.
    »Irgendwas Brauchbares?«, fragte der Detective.
    »Eher nicht. Der Streifenpolizist hat ihn gefunden, als er um Hilfe schrie.« Sie zog ihre Notizen zurate. »Andrew Taylor. Sie waren Kumpel. Nachbarn im Wohnheim. In einem der Häuser oder wie immer sie das nennen. Mr. Taylor ging hier oben spazieren und entdeckte die Leiche.«
    »Irgendwas über das Opfer? Was hatte der Junge hier oben zu suchen? Drogen?«
    »Bei dem Toten wurde nichts gefunden. Der Zeuge ist Amerikaner. Gestern angekommen. Erster Schultag.«
    »Pech. Ist ihm was aufgefallen?«
    »Er sagte, die Leiche sei bereits steif gewesen. Er hat das Blut im Gesicht gesehen.«
    »Hat er ihn bewegt?«
    »Nach dem Puls getastet.« Sie zögerte, dann drehte sie sich um und sah Andrew an.
    »Was?«
    »Er ist furchtbar nervös«, sagte er. »Als ob er etwas gesehen hätte. Er scheint Angst zu haben.«
    »Von hier aus hatte es den Anschein, als wäre er nicht sehr gesprächig.«
    »Stimmt. Gehen wir ein Stück?«
    »Nicht, wenn’s nicht sein muss.«
    »Was willst du sonst machen? Dich weiter vollregnen lassen?«
    Der Detective schlenderte zu Andrew, der noch immer im Polizeiauto saß. Er ging in die Hocke, um dem Jungen in die Augen zu schauen.
    »Ich bin Detective Bryant. Meine Partnerin hast du gerade kennengelernt.«
    »Hi«, brummte Andrew.
    »Ein ziemlicher Schock, was?«, begann Detective Bryant mitfühlend.
    Andrew reagierte nicht.
    Bryant entschied sich für einen Direktangriff. »Du hast gesehen, was passiert ist, stimmt’s?«
    Andrew hob erschrocken den Blick.
    Bryant frohlockte innerlich und versuchte es weiter. »Nicht den Ablauf, sondern den Typen, der ihn getötet hat. Hab ich recht?«
    Die Augen des Jungen wurden groß vor Angst.
    »Wer war es?«, bluffte Bryant weiter. »Ein Ortsansässiger? Jemand aus der Schule?«
    Andrew forschte im Gesicht des Polizisten. Für einen Moment glaubte er, der Detective wüsste etwas, wüsste, was er beobachtet hatte. Andererseits konnte niemand, der Bekanntschaft mit der hageren, weißhaarigen Gestalt gemacht hatte, eine derart gleichgültige, sachliche Miene zur Schau stellen. Der Detective stocherte im Dunkeln. Andrew starrte wieder auf seine Hände.
    »Ihre Kollegin sagte, er sei heute Morgen gestorben«, sagte Andrew. »Wie hätte ich da beobachten können, was passiert ist? Ich hab ihn erst mittags gefunden.«
    Der Detective verfluchte im Stillen seine Partnerin.
    »Was ist dann?«, hakte Bryant ein wenig zu eindringlich nach, da er spürte, dass ihm die Felle davonschwammen. »Du hast Angst, das sehe ich dir an. Wovor? Ich sage es bestimmt niemandem weiter«, log er aalglatt.
    Aber die Aufmerksamkeit des Jungen richtete sich auf etwas anderes. Der Detective folgte seinem Blick. Eineuntersetzte Frau in einem schwarzen Regenmantel war am Tatort eingetroffen. Atemlos bat sie den Polizisten, der an der Absperrung Wache hielt, um Hilfe und zankte mit ihm, als sie unbefriedigende Antworten erhielt. Schließlich deutete der Polizist auf Andrew. Matron sah den Jungen und kam schnurstracks auf ihn zu.
    »Letzte Gelegenheit«, sagte Bryant.
    »Ich habe niemanden gesehen«, erwiderte Andrew.
    »Lüg mich nicht an«, knurrte der Detective.
    Ihre Blicke trafen sich.
    Kurz darauf erreichte sie Matron. »Hier bist du!«, keuchte sie. »Niemand will mir etwas sagen.« Sie funkelte Detective Bryant an. »Was ist eigentlich los?«
    »Jetzt sind Sie in Schwierigkeiten«, raunte Andrew.
    Bryant richtete sich auf, um pflichtbewusst die Fragen der Frau zu beantworten und sich ihr bekümmertes Stöhnen anzuhören. Zu guter Letzt war er gezwungen, tatenlos und eingeschüchtert durch die Entschiedenheit der Frau, zuzusehen, wie sie den Arm um Andrew legte und mit ihm den Hügel hinunterging.
    »Ich werde ihn trotzdem vernehmen«, rief er ihr hilflos hinterher.
    »Er ist minderjährig und steht in der Obhut der Schule«, keifte Matron über die Schulter.
    Andrew und Matron ließen die geschäftigen Polizisten hinter sich und gingen etwa dreißig Meter die menschenleere, nasse Straße entlang. An der Kreuzung hatten sich Schüler hinter dem Polizeiauto versammelt. Unzählige blaue Jacketts saugten sich mit Regen voll. Ein Meer von Harrow-Hüten. Die schwarzen Talare der Lehrer. Die Polizisten ließen Andrew und Matron passieren.
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