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Weißer Teufel

Weißer Teufel

Titel: Weißer Teufel
Autoren: Justin Evans
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Mädchen in Erscheinung trat.
    »Miss Vine, würden Sie nach vorn kommen?«, rief Dr. Kahn.
    Plötzlich wurden alle aufmerksam und verrenkten die Hälse.
    Es ist Zufall – oder ein Zeichen des guten Geschmacks –, dass Miss Vine die ursprüngliche Harrow-Uniform so umgewandelt hat, dass sie ein Mädchen tragen kann, fuhr die Bibliothekarin fort. Ohne Krawatte. Offener Kragen. Weiße Bluse – das Originalhemd ist natürlich aus Leinen. Ihr seht hier einigermaßen detailgetreu, wie ein Harrow-Schüler vor 1850 gekleidet war.
    Namen und Daten konnten das Interesse von Zwölfjährigen nicht wecken. Miss Vine hingegen schon. Etwa einhundert kleine schmächtige Jungs mit klebrigen Fingern und ernsten Gesichtern standen auf, kletterten sogar auf die Bänke, um einen Blick auf sie zu erhaschen.
    »Ich wusste gar nicht, dass es in Harrow überhauptMädchen gibt«, flüsterte Andrew seinem Banknachbarn zu, ohne den Blick von dem Mädchen zu wenden.
    »Persephone Vine. Sie macht ihr A-Level-Jahr hier«, flüsterte der Junge.
    Andrew glotzte wie alle anderen.
    Dieses Mädchen war jede Aufmerksamkeit wert. Sie war knappe eins siebzig groß, hatte helle Haut, ein paar Sommersprossen auf der Nase, einen breiten, vollen Mund und exotische Augen: grüne Kleopatra-Augen mit einem katzenhaft trägen Blick. Sie stand mit den Händen auf dem Rücken vor der Versammlung, als wäre sie ein Krokodil, das sich in einem Terrarium zeigt. Ihre dunklen, wirren Haare mit den wilden Korkenzieherlocken waren zum Teil hochgesteckt, zum Teil fielen sie ihr auf den Kragen. Ihre Knochen waren zart. Sie kaute auf der Lippe, um ihren fleischigen Mund zu verbergen. Ihr Busen war allerdings der größte Blickfang für die Jungs. Die weiße Bluse, auf die Dr. Kahn so stolz war, spannte über den Brüsten. Einhundert Röntgenblicke versuchten, die Nippel auszumachen. Miss Vine erduldete leicht errötend den plötzlichen Tumult. Als die Bibliothekarin erkannte, was sie angerichtet hatte, winkte sie Miss Vine mit einem zerknirschten Das genügt, meine Liebe zurück zu ihrem Platz.
    Andrew flüsterte: »Mädchen dürfen hier in die Schule gehen?«
    Sein Nachbar zuckte mit den Schultern. »Die Tochter eines Hausvaters. Ein besonderes Privileg. Damit sie sagen kann, sie hat ihren Abschluss in Harrow gemacht.« Er stellte sich auf die Zehenspitzen, dann ließ er sich schmollend nieder. »Sie hat sich wieder hingesetzt.«
    Andrew fühlte, wie sich sein Herzschlag beschleunigt hatte, redete sich jedoch ein, dass es sinnlos war. Ein solchesMädchen hatte bestimmt einen Freund. Und selbst wenn nicht, gab es hier jede Menge anderer, die sich um sie prügeln würden. Es war zu naheliegend – das einzige Mädchen in einer Jungenschule. Sie würde zweifellos alle Anstrengungen unternehmen, um zu zeigen, dass sie hier war, um zu lernen, nicht, um sich zu verabreden.
    Während sie sich einige Zeit später in der Kapelle einfanden, schaute Andrew auf und sah, dass das Mädchen, Persephone Vine, ihn anstarrte. Erst hatte er es gar nicht gemerkt. Jetzt rief er sich seine Logik von vorhin ins Gedächtnis. Aber sie spähte weiterhin mit unverhohlener Neugier zu ihm, als wäre er eine begehrte Antiquität, die sie auf einem Flohmarkt entdeckt hatte.
    Und später wartete sie auf ihn. Sie hob sich von dem Meer der blauen Jacketts ab, während sie die Tür für die Kleinen aufhielt und sie mit einem belustigten Lächeln durchwinkte. Die Jungs scharwenzelten um sie herum wie Welpen. Sie fuhr sich durch die Haare. Als Andrew näher kam, beobachtete er, wie ihr Blick auf ihn fiel.
    »Du da! Junger Mann!«
    Andrew war kundig genug, um die Aussprache der Oberschicht zu erkennen, und selbst wenn nicht, wäre ihm der gebieterische Ton aufgefallen.
    »Hi«, grüßte er.
    »Ich möchte mit dir reden. Moment  – wiederhole das«, befahl sie.
    »Ich habe lediglich hallo gesagt.«
    »O Gott, du bist Amerikaner!«, kreischte sie, als ob er ihr etwas angetan hätte.
    »W-was?«, stammelte er. Die Shells drängten sich an ihnen vorbei. Die Kapelle hatte sich fast geleert.
    »Es wird nicht funktionieren.« Sie musterte ihn nüchtern. »Schade. Dabei siehst du ihm so ähnlich.«
    »Wie? … Wem sehe ich ähnlich?«, korrigierte er sich hastig. ( Dies ist England, ermahnte er sich; sie registrieren, wie du dich ausdrückst. )
    »Lord Byron«, erwiderte sie sarkastisch.
    »Lord …«
    »Ich weiß, du bist Amerikaner, aber von Lord Byron hast du sicherlich schon gehört, oder?«
    Sie ließ
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